DER STANDARD (Austrian Daily Newspaper), Montag, 12. April 1999, Seite 25 (M); Kommentar der anderen

Bauernopfer Montenegro ?

Michael Jandl

Die NATO sollte eine Schutztruppe nach Montenegro schicken, statt dessen bombardiert sie es.

Vor etwa 1 ½ Jahren wählte die Bevölkerung der kleinen jugoslawischen Teilrepublik Montenegro, den 35 jährigen Milo Djukanovic, einen erklärten Gegner von Slobodan Milosevic, zum Präsidenten. Im Verlaufe des letzten Jahres nahm die neue, reformorientierte, Regierung eine bewußt pro-westliche Haltung ein und setzte Schritt für Schritt Reformen gegen den Widerstand Serbiens durch.

Die britische Regierung erklärte nun vor ein paar Tagen, ihr lägen Hinweise darauf vor, daß Milosevic auf den Sturz von Präsident Djukanovic hinarbeite. Daraufhin warnte NATO-Generalsekretär Javier Solana Jugoslawien (sic!) vor einem solchen Vorhaben und deutete an, daß die NATO einen Einmarsch der VJ (jugoslawische Armee) in Montenegro notfalls auch mit Gewalt im Rahmen der derzeitigen Luftangriffe auf Jugoslwien vereiteln würde.

Dieses Beispiel illustriert einmal mehr, daß die ohnmächtige Droh- und Ankündigungspolitik der westlichen Staatengemeinschaft schon längst zur leeren Phrasendrescherei verkommen ist: Abgesehen davon, daß die NATO bis dato nicht fähig war schwerste Menschenrechtsverletzungen und Massenvertreibungen im Kosovo zu stoppen, ist es für den drohenden Militärputsch in Montenegro nicht einmal nötig dort „einzumarschieren“, da sich in der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro ja bereits Truppen der VJ befinden, deren Kommando überdies erst vorige Woche gegen Milosevic-treue Hardliner ausgetauscht wurde. Wie also würde die NATO die Absetzung der letzten pro-westlichen politischen Entscheidungsträger innerhalb Jugoslawiens von der Luft aus verhindern können?

Aber es kommt noch viel schlimmer. Anstatt die reformorientierte Regierung in Montenegro, die konsequent mutige Schritte zur Öffnung und Demokratisierung ihrer Republik gesetzt hat, aktiv vor Übergriffen Serbiens zu schützen, unterminiert sie die schwer erkämpfte Unterstützung in der montenegrinischen Bevölkerung durch tägliche Luftangriffe auf militärische Einrichtungen in der Hauptstadt Podgorica und in anderen Landesteilen. Noch im Februar hatte die Doppelzüngigkeit des Westens selbst die montenegrinische Regierung getäuscht, als sie angesichts des vorletzten „Ultimatums“ der NATO Milosevic abermals zum Einlenken aufforderte und gleichzeitig erklärte, „auf montenegrinischem Territorium“ werde es „keinen Konflikt mit der NATO“ geben. Heute bereiten die täglichen NATO Luftangriffe und die daraus resultierende Wut, Verzweiflung und Orientierungslosigkeit der Bevölkerung den Nährboden für einen Sturz der Koalitionsregierung (die auch Vertreter der albanischen und moslemischen Minderheiten beinhaltet) geradezu vor. Trotz allem hat Montenegro, beinahe unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit und ohne Zusagen westlicher Hilfe, bis heute rund 60.000 Kosovo-Albaner als Flüchtlinge aufgenommen. Das entspricht mehr als 10 % der Bevölkerung und stellt damit eine höhere pro-Kopf Belastung als sowohl in Mazedonien als auch Albanien dar.

Die Aussichten für eine Fortführung des politischen und wirtschaftlichen Reformprogrammes in Montenegro stehen heute auf des Messers Schneide. Beinahe alle realistischen Szenarien über die Zukunft des Kosovokonfliktes, und damit Jugoslawiens, enden schlecht für Montenegro: Ein rasches Einlenken von Milosevic samt Annahme aller internationaler Forderungen (Rückzug der VJ aus Kosovo, Stationierung einer NATO Bodentruppe, Rückkehr der Flüchtlinge) könnte die Reformregierung in Montenegro retten, erscheint aber wenig wahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist eine interne Palastrevolte von moderateren, nicht-nationalistischen Politikern in Serbien (welchen?). Eine Beendigung des Konfliktes durch einen faulen Kompromiß über die Aufteilung des Kosovos läßt jedoch den Machtapparat Milosevic´s intakt um noch ruchloser gegen politische Gegner und die verbleibenden Minderheiten in Jugoslawien vorgehen zu können. Ein längeres Andauern des Konfliktes ohne einen Kompromiß, der zumindest die Minimalforderungen der (dann verbliebenen) westlichen Allianz erfüllt, wird aber schließlich unweigerlich zum Ruf nach Bodentruppen führen. Schon in der (mehrere Wochen dauernden) Phase des Aufmarsches der benötigten NATO Bodentruppen, könnte Milosevic dann alle Hemmungen verlieren und säubern, was zu säubern ist, inklusive Montenegro. Ähnliches gilt für die zu erwartenden Reaktionen bei einer Ausweitung des Konfliktes auf Albanien, Mazedonien oder Bosnien.

Was also kann der Westen tun, wenn es seine Ankündigungen Montenegro vor einem Putsch zu bewahren ernst meint? Er sollte, auf höchster politischer und militärischer Ebene, sofort Verhandlungen mit der montenegrinischen Regierung aufnehmen, mit dem Ziel so rasch wie möglich eine preventive Schutztruppe (nach Vorbild der UNPREDEP) in Montenegro und entlang der serbisch-montenegrinischen Grenze zu stationieren, wenn nötig in einer Nacht- und Nebelaktion. Anstatt Montenegro zu bombardieren, sollte es als Verbündeter zurückgewonnen werden.

Dr. Michael Jandl, MPA leitet seit Herbst 1998 das regionale Büro von World University Service – Austrian Committee in Podgorica, Montenegro.



This article has been published in the Austrian Daily Newspaper DER STANDARD, Montag, 12. April 1999, Seite 25 (M); Kommentar der anderen. The text is the final version as delivered to the publishers, that is before editing for publication.

Dieser Beitrag wurde in der Tageszeitung DER STANDARD, Montag, 12. April 1999, Seite 25 (M); Kommentar der anderen veröffentlicht. Die Textfassung ist die Endversion, wie sie an die Herausgeber geschickt wurden (d.h. vor dem Redigieren).
 


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