In the spring of 2001 yet another violent conflict in the Balkans was brewing, this time in Macedonia. This Article maps out 3 possible scenarios where this conflict could be going. It was published in the German Journal "Südosteuropa Mitteilungen", 2001/1.
Im Frühjahr 2001 entwickelte sich ein weiterer blutiger Konflikt am Balkan, diemal in Mazedonien. Der vorliegende Artikel skizziert 3 mögliche Szenarien, die dieser Konflikt einschlagen könnte. Er erschien in der deutschen Zeitschrift "Südosteuropa Mitteilungen", 2001/Nr. 1 - 41. Jahrgang.


Die ungewisse Zukunft Mazedoniens

Michael Jandl, 3.April 2001

Zum Abschluss des 20. Jahrhunderts, sozusagen in letzter Minute, kamen ermutigende Anzeichen aus der südöstlichen Ecke Europas. Der permanente Unruheherd Balkan schien entgültig im Umbruch begriffen zu sein. Mit dem Abtreten von Slobodan Milosevic von der Macht in Serbien schien der Grundstein für eine bessere Zukunft der ganzen Region gelegt, in der Spannungen auf friedlichem Wege gelöst und ethnische Konflikte der Vergangenheit angehören werden. Doch bereits die ersten Monate des Jahres 2001 rissen die Welt aus ihren optimistischen Träumen, als die bereits lang lodernde Unzufriedenheit der albanischen Volksgruppe in Mazedonien in bewaffneten Kämpfen einer „neuen“ UCK gegen die Staatsmacht zum Ausdruck kam. Die darauf folgenden Kämpfe im Norden und Nordwesten Mazedoniens stellen die Frage nach der Zukunft Mazedoniens neu. Und während die Prognosen über die Zukunft des jungen Balkanstaates weit auseinandergehen, sind sich alle Beobachter darin einig, dass hier eine neue Bedrohung für die Stabilität der Region vorliegt. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, nach einem kurzen Abriss der jüngeren Geschichte des Staates, die zukünftige Entwicklung in drei mögliche Szenarien zu fassen und Chancen und Hindernisse für eine internationale Konfliktintervention aufzuzeigen.

Ewiges Pulverfass Mazedonien

Auf dem Balkan gibt es zuviel Geschichte; oder besser: es gibt zu viele Geschichten. Je nachdem mit wem man spricht und welche Region und Periode man betrachtet, kann man für fast jede Identität und fast jeden Irredentismus glaubhafte historische Wurzeln finden. Dadurch wird Geschichte gleichzeitig objektiv unauflösbar und subjektiv relevant. Dies ist aber nicht der Platz für eine Diskussion der alten Geschichte(n) des mazedonischen Raumes oder der Überlagerung der historisch begründeten subjektiven Loyalitäten und Antagonismen. Wichtig ist hier nur die Tatsache, dass Geschichte in den tradierten Vorstellungen der ethnischen und politischen Gruppierungen eine wichtige mythische und identitätsstiftende Rolle spielte und spielt. So erinnert die Anfang der 1990er gegründete und seit November 1998 an der Regierung beteiligte slawisch-mazedonische VMRO nicht zufällig an die Anfang des 20 Jahrhunderts gegründete Geheimorganisation IMRO (Innere mazedonische revolutionäre Organisation), die sich anfänglich das Ziel der Unabhängigkeit (von der osmanischen Herrschaft), später des Anschlusses an Bulgarien gestellt hatte. Der Streit mit Griechenland um den Namen des jungen Staates und um den Alexanderstern in der mazedonischen Flagge war mindestens so sehr Symbolik wie realer Interessenskonflikt um eventuelle Gebietsansprüche in Nordgriechenland. Doch aus der „Mazedonischen Frage“, dem Streit zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien um Mazedonien Anfang des 20 Jahrhunderts, ist inzwischen längst eine „Albanische Frage“ geworden – der Frage nach der Selbstbestimmung der Albaner in Südosteuropa.

In den siebziger und achziger Jahren gab es starke Verbindungen der albanischen Elite in Mazedonien zu nationalistischen Strömungen der Albaner im Kosovo und eine weitgehende Übereinstimmung mit den politischen Zielen der neu entstandenen nationalistischen Parteien der Albaner. Nach den Unruhen in Pristina 1981 und der darauffolgenden Repression der Kosovo Albaner wurden auch etwa 300 mazedonische Albaner verhaftet und zu teilweise langen Haftstrafen verurteilt.
Nach dem Zerfall Jugoslawiens war Mazedonien Anfang der neunziger Jahre die einzige Teilrepublik, die es, nicht zuletzt auf Grund der umsichtigen Vorgehensweise des späteren langjährigen Staatschefs Kiro Gligorov, schaffte, die Unabhängigkeit von Jugoslawien ohne Blutvergießen zu erreichen. Doch von Beginn der neuen Staatlichkeit an, und bereits bei den ersten freien Wahlen im November 1990, waren die mazedonischen Parteien entlang ethnischer Linien in slawische und albanische Parteien aufgeteilt. Nun begann der Versuch, die Kluft zwischen den Volksgruppen, welche die Existenz des jungen Staates von Beginn an bedrohte, durch das „Mazedonische Modell“ zu überbrücken. Die Wahl wurde zwar vom ex-kommunistischen (slawisch-mazedonischen) Sozialdemokratischen Bund (SDSM) gewonnen, vor der damals noch offen nationalistischen VMRO (Innere mazedonische revolutionäre Organisation), danach ging die stimmenstärkste Partei jedoch sofort eine Koalition mit der stärksten albanischen Partei, der Partei der Demokratischen Prosperität (PDP), ein. Dieses Schema wurde auch nach dem Machtwechsel 1998, allerdings mit ausgewechselten Parteien, beibehalten.

Die institutionelle Beteilung albanischer Parteien an der Regierung konnte die starken Differenzen zwischen den Ansprüchen der Volksgruppenvertreter jedoch nur oberflächlich übertünchen. Die PDP stemmte sich von Beginn an gegen die rechtliche und soziale Benachteiligung der albanischen Volksgruppe in Mazedonien und trat vor allem dem verfassungsrechtlichen Status der Albaner als Minderheit im neuen Staate entgegen. Für die albanische Volksgruppe bedeutete das einen Rückschritt gegenüber der alten jugoslawischen Verfassung von 1974, in der Albaner noch als gleichberechtigte Nation anerkannt waren.(1)  Bei Beschluss der Verfassung verweigerten schließlich alle albanischen Abgeordneten ihre Stimmen.

Aus dem gleichen Grund boykottierte die albanische Volksgruppe auch die Volkszählung im März 1991. Nach der Unabhängigkeit am 17. Dezember 1991 organisierten die Albaner schon im Jänner 1992 ihr eigenes Referendum über politische und territoriale Autonomie, das nach eigenen Angaben 90 % Zustimmung erreichte, von staatlicher Seite allerdings nicht anerkannt wurde. In der Folge kam es zu verstärkten Spannungen und gewalttätigen Demonstrationen, am 7. November 1992 schließlich gab es bei ethnischen Auseinandersetzungen vier Tote im Zentrum von Skopje. Im Juni und Juli 1994 wurde eine zweite Volkszählung unter internationaler Aufsicht durchgeführt, die Albaner – die nach dieser Zählung auf 23 % Bevölkerungsanteil in Mazedonien kommen – erkennen das Ergebnis jedoch weiterhin nicht an und sprechen selbst von einem Bevölkerungsanteil von 35 – 40 %. (2)  Noch im gleichen Jahr wurde in den albanischsprachigen Siedlungsgebieten in Westmazedonien eine „autonome Republik Ilyrida“ ausgerufen. Die albanischen Parteien distanzierten sich allerdings schnell davon und das Ereignis geriet wieder in Vergessenheit.

1994 wurde schließlich auch eine illegale albanische Universität in Tetovo gegründet, als Ausdruck zunehmenden Nationalbewusstseins der albanischen Mazedonier, aber auch als Alternative zur faktischen Schließung der Universität Pristina. Auch viele kosovo-albanische Professoren unterrichteten in den folgenden Jahren in Tetovo. Die Eröffnung der Privatuniversität am 17. Dezember 1994 führte zu blutigen Unruhen, der Betrieb wurde in Folge immer wieder von der mazedonischen Polizei verhindert, schließlich aber geduldet.

1995 führten interne Auseinandersetzungen in der PDP um den Autonomiekurs zur Abspaltung der PDPAM (Partei der demokratischen Prosperität der Albaner Mazedoniens) unter Arben Xhaferi und Menduh Thaci, beides Mitbegründer der Universität Tetovo. Im Juli 1997 wurde aus der PDPAM und der Demokratischen Volkspartei (NDP) die Demokratische Partei der Albaner (DPA, albanisch DPSH) unter Arben Xhaferi und Bedredin Ibrahimi (Die Partei wird von offizieller Seite noch unter PDPA-NDP geführt). Die neue Partei verlangte eine Föderation und hisste die albanische Flagge in den albanischen Städten unter ihrer Kontrolle. Als das mazedonische Parlament die Flagge verbot, kam es noch im Sommer 1997 zu Ausschreitungen in Gostivar. Bei Straßenschlachten wurden drei albanische Demonstranten von der Polizei erschossen, es kam zu Verhaftungen und der Verhängung von teilweise drakonischen Strafen (Der albanische Bürgermeister von Gostivar fasste eine Gefängnisstrafe von 13 Jahren aus). Danach gab es eine Serie mysteriöser Anschläge auf staatliche mazedonische Einrichtungen. Am 16. Dezember 1997 wurde ein Bombenanschlag auf das Gerichtsgebäude von Gostivar verübt, zwei Wochen später auf die Rathäuser von Kumanovo und Prilep. Am 24. und 25. Mai 1998 gab es Anschläge auf Polizeistationen in Gostivar und Skopje, am 21. Juli 1998 einen Anschlag auf den Zug Budapest-Athen.

Interne Umwälzungen und die Kosovo Krise

Im Laufe des Jahres 1998 wird Mazedonien immer mehr in den Bann der Ereignisse im Kosovo gezogen. Die USA und Frankreich unterstützen die mazedonische Regierung, auch im Hinblick auf ein mögliches Aufmarschgebiet für einen Kosovokrieg. Die slawisch-mazedonischen Parteien und die albanische PDA schlagen moderatere Töne an, um ein Übergreifen des Konflikts zu verhindern. Bei den Wahlen im Oktober und November 1998 erringt die VMRO-DPMNE (Innerer Mazedonische Revolutionärer Organisation - Demokratische Partei der nationalen Einheit) 49 Sitze und geht zusammen mit der Demokratischen Alternative (DA) und der albanischen DPA (11 Sitze) eine Koalition ein. Neuer Premierminister wird Ljubco Georgievski. (3)  Die DPA bekommt 5 Ministerien, inklusive das für sie wichtige Ministerium für Lokale Verwaltung, das mit  Dezentralisierung und Selbstverwaltung der Gemeinden betraut ist. Als gemeinsame „Basis“ dieser beiden gegensätzlich nationalistischen Parteien wird erstens der Anti-Kommunismus und zweitens der Ausschluss der pro-serbischen Option genannt.

Während des NATO Luftkrieges gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 kommt es zu großen Flüchtlingsströmen aus dem Kosovo, mehr als 300.000 kosovo-albanische Flüchtlinge strömen ins Land. Beunruhigt über die Auswirkungen dieses Ansturms schließt Mazedonien zeitweilig sogar die Grenzübergänge zum Kosovo, es kommt zu katastrophalen Situationen und Flüchtlingsdramen beim Grenzübergang Blace, nur 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Skopje. Angesichts des Flüchtlingselends zeigen aber vor allem die mazedonischen Albaner größtmögliche Solidarität mit ihren kosovo-albanischen Brüdern, hunderttausende kommen bei Verwandten und Freunden unter. Aber auch die kosovarische UCK hat ihre Basen in Mazedonien eingerichtet und bezieht Unterstützung und Kämpfer aus Kreisen radikalisierter albanischer Mazedonier. All das verstärkte die Angst unter den slawischen Mazedoniern vor einer pan-albanischen Einigungsbewegung und einer ähnlichen Entwicklung in ihrem Land wie im Kosovo.

Nach dem Ende der NATO Luftangriffe auf Jugoslawien und dem Einzug der KFOR in das Kosovo im Juni 1999 kehren hunderttausende kosovo-albanische Flüchtlinge innerhalb weniger Wochen aus Mazedonien und Albanien in ihre Heimat zurück. Die KFOR beginnt mit der Umsetzung der Kosovo-Abkommen und der Entwaffnung der kosovarischen UCK (was allerdings die gewaltsame Vertreibung der Serben und Roma aus dem Kosovo durch Übergriffe von Extremisten nicht verhindern kann). Bereits im Spätherbst 1999 tritt eine neue bewaffnete albanische Befreiungsorganisation UCPMB (Befreiungsarmee Presevo, Medvedja und Bujanovac) im Presevo-Tal in Südserbien an der Grenze zum Kosovo mit bewaffneten Überfällen auf serbische Polizeistationen in Erscheinung. Ihre Nachschublinien und Rückzugsgebiete erstrecken sich auf das westliche Kosovo aber auch auf das nördliche Mazedonien.

Nachdem der „Vater der mazedonischen Unabhängigkeit“ Präsident Kiro Gligorov Ende 1999 mit 82 Jahren die Politik verlässt, wird in den Präsidentenwahlen der 44-jährige Boris Trajkovski mit Stimmen aus der albanischen DPA mit 52,4 % in der Stichwahl zum neuen Staatschef gewählt. Nach der ersten Wahlrunde war noch der Sozialdemokrat Tito Petkovski voran gelegen. Trajkovski, der selbst Angehöriger der religiösen Minderheit der Methodisten ist und sich stets für einen Ausgleich mit den Albanern ausgesprochen hatte, tritt am 15 Dezember 1999 sein Amt an. (4)  Als Präsident Gligorov von der politischen Bühne abtritt, hinterlässt er eine pessimistische Prognose: Er sei „naiv“ gewesen zu glauben, dass Mazedonien ein Modell ethnischer Toleranz in einer ethnisch intoleranten Region werden könne, und „es hat sich erwiesen, dass ich mich geirrt habe“.

Im Verlaufe des Jahres 2000 kommt es innenpolitisch zu stärkeren Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien, die einer politischen Blockade gleichkommen. Im November 2000 muss Premierminister Georgievski sein Kabinett umbilden, da die DA aus der Regierung ausscheidet. Es gelingt ihm allerdings, die kleinere Liberale Partei als Partner sowie einzelne Abgeordnete der zweiten Albanerpartei PPD zu gewinnen und so eine absolute Mehrheit zu erhalten. Anfang 2001 kommt die Regierung und insbesondere das Innenministerium unter massiven Druck der Opposition über eine Abhöraffäre, bei der Telefongespräche von Oppositionspolitikern, Geschäftsleuten und sogar dem Staatspräsidenten abgehört wurden. (5)  Im Hintergrund der heftig geführten Auseinandersetzungen geht es um die Neuverteilung der Macht und Pfründe, sowie den Gewinnen aus der Privatisierung.

Parallel zu den Auseinandersetzungen zwischen den slawischen Parteien verschärft sich auch der Richtungsstreit innerhalb der albanischen Volksgruppe. Während der Kommunalwahlen im September 2000 kommt es zu Wahlunregelmäßigkeiten und blutigen Ausschreitungen. Bei Schießereien zwischen rivalisierenden albanischen Lagern, die jeweils der DPA bzw. der PDP nahe stehen, werden 4 Personen verletzt. Die Wahllokale in der westmazedonischen Stadt Debar werden geschlossen, nachdem Urnen angezündet und Wahlaufseher bedroht werden. Die wahlbeobachtende OSZE, bezeichnet den Urnengang „weder frei noch fair“. (6)  Die PDP kündigt an, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen, da ihre Anhänger von der DPA systematisch eingeschüchtert worden wären. Andererseits bringt das Jahr 2000 auch Hoffnung auf eine friedliche Beilegung der interethnischen Spannungen. Im Juli 2000 wird ein Abkommen über eine „Südosteuropa Universität“ unter der Schirmherrschaft der OSZE geschlossen. Die neue Privatuniversität wird im Februar 2001 symbolisch gegründet und sollte bereits im Oktober 2001 eröffnet werden.

Auftritt der mazedonischen UCK

Am 22. Jänner 2001verüben bewaffnete Extremisten einen Granatenangriff auf den Polizeiposten von Tearce bei Tetovo, wobei ein Polizist getötet wird. Erstmals tritt eine mazedonische UCK in einen Bekennerschreiben als Urheber der Anschläge auf und kündigt an „bis zur Befreiung des albanischen Volkes weiterzukämpfen“. (7)  Die neue UCK bezieht sich auch ausdrücklich auf die Bombenanschläge von 1997 und 1998 in Westmazedonien, obwohl die Urheber damals nicht unter diesem Namen in Erscheinung traten. Danach kommt es zur Besetzung und wochenlangen Kämpfen zwischen albanischen Rebellen und Regierungstruppen um das mazedonisch-kosovarische Grenzdorf Tanusevci. Hier verlief während des Kosovo Krieges eine wichtige Nachschublinie der kosovarischen UCK. Anfang März rücken amerikanische KFOR Soldaten in das Dorf ein. Die neue UCK zieht sich weiter auf mazedonisches Gebiet zurück und greift sogleich einen Konvoi der mazedonischen Polizei an, wobei ein Polizist getötet wird. (8)

Am 14. März kommt es schließlich zu den ersten Kampfhandlungen im Inneren Mazedoniens. Eine Stunde vor Beginn einer albanisch-nationalistischen Großdemonstration in Tetovo sind - unter dem Applaus vieler junger Albaner – Schüsse aus den naheliegenden Bergen zu hören, wo sich die Rebellen in einer alten ottomanischen Burg verschanzt halten. Die Demonstration war von radikalen Albanerorganisationen organisiert worden, unter anderem einer „Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge“ mit engen Verbindungen zur PDP und einer neugegründeten radikalen Albanerpartei PDK (Demokratisch Nationale Partei). (9)

Im Verlaufe der bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Rebellengruppen in den Bergen nördlich Tetovos wird auch eine zunehmende Verhärtung auf slawisch-mazedonischer Seite spürbar. Am 17. und 18. März gibt es große Demonstrationen aufgebrachter slawischer Mazedonier in Skopje. Sie verlangen ein entschlosseneres Vorgehen der Polizei und Armee gegen die Rebellen sowie Waffen um sich selbst zu verteidigen. Die Regierung beschließt noch am 18. März die Mobilmachung der Armee. Jetzt kommt es auch zu den ersten bewaffneten Zwischenfällen in den Städten. Am 21. März werden zwei Albaner in Tetovo erschossen, am gleichen Tag werden zwei Polizisten in der Hauptstadt Skopje erschossen. Die Kämpfe in den Bergen um Tetovo halten mehr als eine Woche an, für kurze Zeit hält die UCK mehrere albanischen Dörfer als befreites Gebiet. Bis zum 23. März haben die Kämpfe bereits mindestens 12 Tote gefordert, es gibt bereits mehr als 22.000 Flüchtlinge. Am 25. März startet die Polizei unterstützt von Armeetruppen die angekündigte Großoffensive auf die Stellungen der UCK, zwei Tage später hat sie diese eingenommen und die Rebellen ziehen sich aus der Umgebung von Tetovo zurück. Kurz darauf verkündet Präsident Traijkovski den Sieg über die Aufständischen, doch bereits in den darauffolgenden Tagen kommt es zu weiteren Kämpfen um abgelegene albanische Dörfer im Norden Mazedoniens. Am 29. März werden bei dem Beschuss von Rebellenstellungen an der Grenze zum Kosovo durch Irrläufer zwei Kosovo-Albaner und ein britischer Journalist in einem nahen Grenzdorf im Kosovo getötet.
 

Drei Szenarien der zukünftigen Entwicklung

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen (Ende März) ist der zukünftige Verlauf des Konfliktes unklarer denn je. Eine vorausschauende Politik der Konfliktprävention braucht allerdings taugliche Anhaltspunkte für eine de-eskalierende Intervention. Im Folgenden werden also drei mögliche Szenarien des Konfliktverlaufes in Mazedonien erarbeitet und die dabei auftretenden Hindernisse und Chancen für eine internationale Intervention aufgezeigt  Die hier verwendete Methode der „Szenario-Planung“ kann dabei nur ein grobes Raster für mögliche Entwicklungspfade aufzeigen und keineswegs der gesamten Komplexität und Dynamik der Situation gerecht werden. Die drei hier behandelten Szenarien sind 1) „anhaltender Ethno-Terrorismus“ 2) „regionaler Konflikt“ und 3) „Interessenausgleich“. Daneben könnte man sich noch eine Vielzahl weiterer Szenarien vorstellen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings als weniger wahrscheinlich einzustufen sind. Diese wären zum Beispiel:

4) Ein schneller militärischer Sieg über die neue UCK stellt die Ordnung und Sicherheit in Mazedonien wieder dauerhaft her ohne dass Zugeständnisse an die politischen Forderungen der Albaner gemacht werden müssen
5) Die UCK erringt einen überzeugenden militärischen Sieg und kann Teile Westmazedoniens dauerhaft unter ihre Kontrolle bringen
6) Die mazedonische Regierung beschließt eine friedliche Trennung zwischen slawisch und albanisch besiedeltem Gebiet
7) Bulgarien greift direkt militärisch in den Konflikt ein und etabliert eine bulgarische Einflusssphäre in weiten Teilen Zentral- und Ostmazedoniens, während sich die albanisch besiedelten Gebiete in Westmazedonien vom Gesamtstaat abkoppeln können
8) Die NATO schaut einer regionalen Eskalation untätig zu und lässt ein „Großalbanien“ entstehen.
9) Die NATO zieht sich zurück, die KFOR verlässt das Kosovo und es entsteht ein unkontrollierbarer großräumiger Konflikt um die albanischen und mazedonischen Siedlungsgebiete in Südosteuropa

Schon aus der Einordnung dieser Szenarien als weniger wahrscheinlich werden zwei Grundannahmen ersichtlich, die auch für die folgenden drei Szenarien beibehalten werden, nämlich einerseits, dass der bewaffnete Konflikt in Mazedonien nicht durch eine schnelle militärische Lösung dauerhaft beendet werden kann, und andererseits dass die Stabilität in der Region Südosteuropas für die maßgeblichen NATO Staaten zu wichtig ist um die Konfliktparteien einfach sich selbst zu überlassen.

Szenario 1) "Anhaltender Ethno-terrorismus"

Dieses Szenario ist zum einen eine Fortschreibung der derzeitigen Situation, entwickelt aber im Laufe der Zeit seine eigene, zerstörerische, Dynamik. Eine radikalisierte Schicht kampfbereiter Albaner positioniert sich außerhalb der (slawischen und albanischen) Gesellschaft in Mazedonien und kämpft als „Befreiungsarmee“ für die nationale Sache der Albaner. Obwohl dieselben Ziele auch von den in die Regierung bzw. ins Parlament eingebundenen albanischen Parteien vertreten werden, sieht ein Teil der albanischen Bevölkerung die Chance auf die Erreichung dieser Ziele nur durch gewalttätigen Kampf. Es kommt zu einer tiefgehenden Polarisierung der albanischen Mazedonier, wobei die gemäßigte Gruppe ihren Einfluss auf die radikalere Gruppe völlig verliert. Gleichzeitig kommt es durch die anhaltende Gewalt auch zu einer Polarisierung der slawischen Parteien und der slawischen Bevölkerung, was die richtige Antwort auf die fortlaufenden albanischen Provokationen betrifft. Die Polarisierung führt schließlich zu einer völligen Blockade von nötigen inneren Reformen und der politischen Unmöglichkeit, bedeutende Zugeständnisse an die albanische Minderheit zu machen.

Zu erwarten ist in diesem Fall also ein anhaltender Guerilla mit kleineren Gefechten und Überfällen auf Polizei und staatliche Einrichtungen und einer Ausdehnung der Anschläge auf Ziele in ganz Mazedonien. Die steigende Zahl der Opfer unter den Ordnungskräften und schließlich auch der Zivilbevölkerung provoziert übermäßige Reaktionen der Polizei und spaltet schon sehr bald Armee und Polizei nach ethnischen Linien. Es gibt zunehmend Überläufer zur UCK, während die Armee mit westlicher Hilfe aufrüstet und zunehmend brutaler gegen mutmaßliche Rebellenstellungen vorgeht, wobei auch die albanische Zivilbevölkerung mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Die NATO hält sich in diesem Stadion aus dem Konflikt innerhalb Mazedoniens noch heraus, da sie Übergriffe auf die KFOR und andere internationale Organisationen im Kosovo befürchten muss. Sie beschränkt sich auf eine mäßig erfolgreiche Abriegelung der Grenze zum Kosovo und versucht eine Ausweitung der Gewalt auf das Kosovo zu verhindern. Gleichwohl arbeiten albanische Extremisten in der gesamten Region zunehmend zusammen mit dem Ziel aus der regionalen Instabilität persönlichen Profit und politische Vorteile zu ziehen. Aus dem klassischen Guerilla in den unzugänglichen Bergen des Balkans wird schließlich weitverbreiteter Terror in den Städten und Dörfern in ganz Mazedonien, mit terroristischen Anschlägen in den Städten auf Politiker, Funktionäre und Journalisten, was die Frustration und den Hass der slawischen Bevölkerung weiter anfacht. Die Leidtragenden sind auf allen Seiten die slawische und albanische Zivilbevölkerung.
 

Obwohl KFOR und NATO einen hohen Einsatz betreiben, um die Grenzen zum Kosovo dichter zu machen, und die EU und OSZE laufende Vermittlungsbemühungen in Mazedonien unternehmen, ist die Effektivität der internationalen Intervention in diesem Szenario sehr begrenzt. Schlimmer noch, die Instabilität in der Region verhindert das Greifen des Stabilitätspaktes und führt zu einer radikalisierten Entwicklung in Bosnien, Albanien, Serbien und anderen Teilen Südosteuropas.

Mit zunehmender Dauer ethnisch motivierter Gewalt und höheren Verlusten und Toten unter der Zivilbevölkerung dreht sich die Spirale der Gewalt abwärts: Zunehmende Polarisierung der Bevölkerungsgruppen, der ethnische Hass wächst, die Moderaten werden marginalisiert, es wird immer schwieriger für gemäßigte Führer der Volksgruppen den Gruppenzusammenhalt zu bewahren und alle um den Verhandlungstisch zu versammeln. Die Chancen liegen schließlich nur mehr darin, dass die verheerenden Konsequenzen für alle Bürger, die Wirtschaft und nicht zuletzt auf die internationale Hilfe gegenüber den albanischen und slawischen Mazedoniern sowie die Unmöglichkeit der Durchsetzung ihrer Forderungen mit gewaltsamen Mitteln endlich auch die radikaleren Bevölkerungsteile wieder zum Umdenken bringt und dadurch die Extremisten diskreditiert, kurz, sich die Einsicht durchsetzt, dass nur mehr die Verhandlungslösung offen steht.

Szenario 2): "Regionaler Konflikt"

Eine sehr reale Möglichkeit besteht in einer weiteren Eskalation der Gewalt und einer Ausweitung des bewaffneten Konflikts auf die nähere Region um Mazedonien. Allerdings sollte hier kein „Horror“- oder „Worst Case“ Szenario eines ausgedehnten Flächenbrandes am Balkan unter Einschluss der Türkei und Griechenlands gezeichnet werden, denn diese Möglichkeit wurde im vorher Gesagten – durch das akute Interesse der westlichen Staatengemeinschaft an einer, notfalls militärischen, Eindämmung des Konfliktherdes – bereits ausgeschlossen. Realer erscheint hingegen die Wahrscheinlichkeit eines Übergreifens der Krise auf die benachbarten Regionen im Kosovo, Albanien und Südserbien.

Implizites Ziel einer kleinen Rebellenarmee ist zunächst die Ausweitung ihres eigenen Gewaltpotentials durch Mobilisierung eines Teils der bis dato nicht gewalttätigen Zivilbevölkerung. Ein erprobtes Mittel dieser Strategie, das sich in der Vergangenheit (Partisanenkrieg) leider immer wieder als wirksam erwiesen hat, ist die Provokation von exzessiven Reaktionen der staatlichen Sicherheitskräfte auf Guerillaaktivitäten, die – quasi als „Nebenprodukt“ – auch die Zivilbevölkerung stark in Mitleidenschaft zieht. Im Szenario „Regionaler Konflikt“ kommt es nun zu eben dieser Mobilisierung mittels einer anhaltenden Radikalisierung der albanischen Bevölkerung in Mazedonien, wodurch ein hoher Zulauf zur UCK aus dem großen Potential junger, frustrierter und oft arbeitsloser albanischer Mazedonier ausgelöst wird. Gleichzeitig steigt die Angst vor weiteren Übergriffen und es kommt zu verstärkten Flüchtlingsbewegungen, unter anderem nach Albanien und von dort über die Grenzen in das Kosovo. Nicht zuletzt auf Grund ihrer eigenen leidvollen Erfahrung kommt es zu Verbrüderungseffekte im Kosovo und Albanien und einer verstärkten Re-Mobilisierung früherer UCK-Kämpfer im Kosovo. Dies erleichtert wiederum die Zirkulation von Rebellengruppen im Grenzgebiet von Mazedonien, Albanien, Südserbien und dem Kosovo und die Errichtung von Rückzugsbasen und Trainingslager auf der jeweils sicheren Seite der Grenzen. Die internen Machtkämpfe in Albanien um die Kontrolle des Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggels führen schnell zu einer Destabilisierung der öffentlichen Ordnung in Albanien, dem ärmsten Staat der Region, wobei das Aufflammen von bürgerkriegsähnlichen Kämpfen wie im Jahre 1997 eine neuerliche Intervention westlicher Truppen bedingen könnte.

Auf der anderen Seite führt die sprunghafte Eskalation der Gewalt auch zu einer Verhärtung der Position der slawisch-mazedonischen Parteien. Moderate Töne gehen in der demonstrativen Einigkeit, in aller Härte gegen die Bedrohung der jungen Staatlichkeit Mazedoniens vorzugehen, hoffnungslos unter. Angesichts der akuten Lage einigt man sich schließlich, zumindest stillschweigend, inoffizielle militärische Hilfe aus Bulgarien, Serbien und Griechenland zuzulassen, und auch der Bewaffnung und dem Kampf von neu auftretenden paramilitärischen Truppen nicht entgegenzustehen. Indirekt werden so auch Bulgarien und Griechenland in den Konflikt hineingezogen. Die Ausweitung des Kampfes auf Dörfer und Städte, die zunehmende Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung und neue Massenströme von Flüchtlingen verschärfen auch zunehmends die regionale Instabilität. Zu rechnen ist mit verschärften Spannungen und Krisen im Kosovo, in Montenegro, Serbien, Albanien, Bulgarien und selbst Griechenland und überall dort wo es zu einer Solidarisierung der orthodoxen gegen die muslimischen Bevölkerungsteile kommt.

Schließlich würde das Szenario in einen Krieg hoher Intensität, geführt mit schwerem Gerät und professionell geführten Streitkräften, dessen Logik im Angriff und der Verteidigung von „gesäuberten“ und „befreiten“ Gebieten liegt, münden. Es wäre dies, nach allen schrecklichen Standards der neuen Terminologie, ein „neues Bosnien“, komplett mit „ethnischen Säuberungen“ und Pogromen.
 

Wie aber könnte die „internationale Gemeinschaft“ eine solche dramatische Entwicklung am Balkan abermals zulassen? Leider ist der Gedanke nicht ganz so abwegig, wie er zunächst erscheint. Denn das oberste Ziel der militärischen und zivilen Präsenz der internationalen Gemeinschaft am Balkan ist zunächst die eigene Sicherheit. Wenn aber die KFOR, UNMIK, UNHCR, OSZE und die unzähligen NGOs im Kosovo zunehmend zum Ziel von Anschlägen werden, sind ihr militärisch zunächst die Hände gebunden. Denn einen Abzug der gesamten internationalen Präsenz im Kosovo, um direkt in einen Guerilla in Mazedonien einzugreifen, wird es nicht geben. Und so könnte sich die Spirale der Gewalt in Mazedonien zunächst weiter drehen. Zu erwarten ist leider auch, dass bei einer Ausdehnung der Krisen- und Konfliktzone am Balkan, bei der auch die Anzahl der beteiligten Parteien und Interessen anwächst, ein Konsens innerhalb der „internationalen Gemeinschaft“ über die angemessene Reaktion immer schwieriger herzustellen sein wird. Erst bei einer akuten Gefahr der Ausweitung des Konfliktes auf die weitere Region Südosteuropa, würde das überragende Interesse der NATO an einer Eindämmung des Konflikts diese Differenzen wieder überbrücken, wodurch eine starke militärische Intervention der NATO wieder möglich wäre.

Szenario 3) "Interessenausgleich"

Die beiden aufgezeigten Szenarien zeichnen ein düsteres Bild der möglichen Entwicklungspfade der aktuellen Krise in Mazedonien. Doch dazu muss es keineswegs kommen. Bei entsprechendem Willen der albanischen und slawischen Bevölkerungsteile in Mazedonien, und mit Hilfe entschiedener Unterstützung eines friedlichen Ausgleichs durch die westliche Staatengemeinschaft, können die bestehenden Differenzen und Forderungen noch auf dem Verhandlungsweg gelöst werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die gemäßigten Stimmen unten den albanischen wie slawischen Bevölkerungsgruppen die Oberhand behalten und nicht durch Druck und gewalttätige Aktionen extremistischer Gruppen übertönt werden.

Für die albanische Seite impliziert das vor allem, dass sie rasch Erfolge durch Verhandlungen vorweisen kann. Da sich die deklarierten Ziele der Rebellen ja nicht in deren Substanz, sondern nur im bevorzugten Mittel ihrer Erreichung (durch Gewalt vs. durch den demokratischen Prozess), von denen der albanischen Parteien im mazedonischen Parlament unterscheiden, würden bedeutende Fortschritte durch Verhandlungen den Extremisten die Legitimität in den Augen der Bevölkerung entziehen.

Worin aber bestehen die Forderungen der albanischen Parteien im Detail? Listet man die gesamte Palette der bisher erhobenen Ansprüche einmal auf, so kommt man auf einen ganz erheblichen Forderungskatalog (10) : Verfassungsrechtliche Anerkennung der Albaner als Teil des Staatsvolkes; Anerkennung des Albanischen als zweite Amtssprache; Ausweitung der kulturellen Rechte (wie z.B. eine angemessenen Quote an albanischsprachigem Programm im staatlichen Fernsehen); Legalisierung der albanischsprachigen Universität in Tetovo (d.h. mehr als nur eine „internationale“ Universität wird die Forderung nach einer „staatlichen“ Universität mit allen damit verbundenen Rechten wie finanziellen Zuwendungen und Anerkennung der Abschlüsse erhoben); ein neuer Zensus unter internationaler Aufsicht (wobei insbesondere auch alle albanischen Einwohner ohne Staatsbürgerschaft und Papiere gezählt werden sollten); Besetzung von Führungspositionen in Armee, Polizei und Verwaltung gemäß Bevölkerungsanteil; ein hohes Maß an regionaler Selbstverwaltung für mehrheitlich albanische Gemeinden. Gerade die letzte Forderung ist allerdings auch in der albanischen Gesellschaft heftig umstritten; denn während die DPA gegen eine Föderalisierung auf regionaler Basis ist (da etwa 100.000 Albaner verstreut in ganz Mazedonien leben, vor allem um und in der Hauptstadt Skopje), fordert die UCK eine regionale Autonomie bis hin zur Föderalisierung des Staates Mazedoniens.

Wenn nur einige dieser Ziele für die albanische Gesellschaft durch den Verhandlungsprozess in greifbare Nähe rücken, müsste die albanische Zivilgesellschaft Druck auf alle albanischen Parteien in Mazedonien ausüben, für ein friedliches Verfolgen der gemeinsamen Interessen zu arbeiten. Erst wenn die überwiegende Mehrheit der Zivilbevölkerung den gewalttätigen Aktionen der UCK ihre mehr oder weniger offene Sympathie und Unterstützung entzieht, und der Zulauf zu den Rebellengruppen gestoppt ist, wird sich die UCK für einen ungestörten Verhandlungsprozess entscheiden, in dem sie auch über ihren politischen Arm, die neu gegründete albanische Partei PDK, beteiligt wäre.

Umgekehrt hängen die erzielbaren Verhandlungsfortschritte natürlich primär vom Willen der slawisch-mazedonischen Parteien ab, haltbare Kompromisse zu finden und diese dann auch tatsächlich umzusetzen. Ein großes Hindernis auf diesem Weg ist zunächst das Misstrauen, das der albanischen Bevölkerung im Allgemeinen und deren Bekenntnis zu den staatlichen mazedonischen Strukturen im Besonderen entgegengebracht wird. Denn die mazedonische Regierung lehnte die meisten Forderungen der Albaner vor allem deshalb bisher hartnäckig ab, weil die Angst besteht, diese seien nur Vorstufen zu weitergehenden Schritten auf dem Weg zur Sezession in einer Art „Dominoeffekt“ von Autonomie – Föderalisierung – Kantonisierung – Abspaltung. Hier wäre es hilfreich, wenn die albanischen Parteien und die albanische Zivilgesellschaft zunächst die Unveränderbarkeit der Grenzen anerkennt und Extremismus in jeder Form glaubwürdig ablehnt. Wichtig ist auch, dass die slawisch-mazedonische Seite das Gefühl hat, bei dem Verhandlungsprozess nicht nur verlieren, sondern im Gegenzug auch etwas gewinnen zu können. Oberste Priorität muss hier zunächst die Sicherheit der Zivilbevölkerung haben. Albanische Polizisten und Soldaten dürfen nicht mehr als Sicherheitsrisiko, sondern müssen als integrale Bestandteile der Sicherheit aller Bevölkerungsgruppen gesehen werden. Gemischt slawisch-albanische Verteidigungskommittees unter internationaler Aufsicht könnten zum Schutz der gesamten Zivilbevölkerung dienen u.s.w.

Entscheidend wird sein, einen Konsens unter allen slawischen Parteien herbeizuführen, substantielle Zugeständnisse (z.B. in der Frage des Status der albanischen Sprache) mitzutragen und in Zukunft auch unter geänderten politischen Konstellationen umzusetzen. Denn die derzeit regierende Partei VMRO-DPMNE wird die nächsten Wahlen 2002 kaum gewinnen, schon alleine wegen der Anfang 2001 ins Licht der Öffentlichkeit gelangten Korruptions- und Abhörskandale nicht. Wenn sie jetzt Kompromisse durchsetzt, die danach von einer neuen Regierung – wahrscheinlich unter der sozialdemokratischen Partei SDSM – nicht eingehalten werden, weil sie sich zuvor schon durch taktische Opposition über die nationalistische Karte profiliert haben, wird eine politische Lösung nicht von Dauer sein. Das wissen aber auch die gewaltbereiten Rebellengruppen, die sich in diesem Fall immer die Option auf eine rasche Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes offen halten werden.
 

Um einen dauerhaften Interessenausgleich auf friedlichem Wege erreichen zu können, ist aus all den genannten Gründen die massive Unterstützung westlicher Staaten nötig. Die Aussicht auf schrittweise Einbindung in den europäischen Integrationsprozess über ein Assoziierungsabkommen mit der EU und einer späteren Beitrittspartnerschaft stellt einen wichtigen Preis dar, der nicht ohne entsprechende Zugeständnisse in den Verhandlungen vergeben werden darf. Ein komplementäres Paket von massiver Wirtschaftshilfe zur Verbesserung der sozialen Lage aller in Mazedonien lebenden Menschen ist die Chance für die EU, einen entscheidenden Durchbruch in den schwierigen Verhandlungen zu erzielen. Wirtschaftliche Unterstützung und finanzielle Anreize zu einer konstruktiven Haltung in diesem Konflikt sind allerdings auch für die umgebende Region nötig – ob diese zusätzliche Wirtschaftshilfe über den Balkan Stabilitätspakt abgewickelt wird oder nicht ist dabei weniger wichtig als die strikte Konditionalität der Gelder an eine konstruktive Haltung im slawisch-albanischen Dialog.

Daneben besteht natürlich auch eine wichtige Rolle für die anderen westlichen Akteure in Südosteuropa. Die OSZE sollte in die Überwachung des Waffenstillstands eingebunden werden und könnte ein Programm zur Entmilitarisierung und Abrüstung der Kämpfer entwerfen und umsetzen. Besser als nach bisherigen Nachkriegsprogrammen am Balkan sollte auch die Rückkehr der ehemaligen Rebellen ins Zivilleben organisiert werden. Denkbar sind die Durchführung eigener Jobprogramme für abgerüstete Rebellen, ein Gebiet auf dem die UN in anderen Krisenregionen bereits beträchtliche Erfahrungen gesammelt hat. Neben diesen kurzfristigen Programmen zur Bewältigung der akuten wirtschaftlichen Probleme ist es aber die langfristige wirtschaftliche Entwicklung der Region, die nachhaltig zum Abbau der sozialen und wirtschaftlichen Krise beitragen kann und die deshalb mit verstärkten Anstrengungen verfolgt werden muss. Denn nach einem Jahrzehnt rückschrittlicher wirtschaftlicher Entwicklung in Mazedonien hat heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung weniger Geld zur Verfügung als noch 1990. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit beträgt heute rund 40 %, davon sind die Hälfte junge Menschen. Der Jugend eine bessere Perspektive zu bieten als sich im sinnlosen Kampf zu behaupten, wird auch hier der Schlüssel zum dauerhaften Frieden sein.

Anmerkungen

  (1) Der Standard, 27.3.2001: „Mangelhafte Minderheitenrechte in Mazedonien“.
  (2) Bei der Volkszählung 1994 wurden 443.000 Albaner oder 23 % der Bevölkerung gezählt. Zwischen 1991 und 1996, erhielten 108.000 Kosovo-Mazedonier (Mischehen) die mazedonische Staatsbürgerschaft. Dazu kommt ein rascheres Bevölkerungswachstum der albanischen Bevölkerung und viele noch nicht eingebürgerte Flüchtlinge aus dem Kosovo die im Laufe der 1990er kamen. Grob geschätzt leben heute also ca. 700.000 Albaner in Mazedonien, was etwa 31 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Christophe Chiclet, Next Victim of the Balkans Crisis?, in: Le Monde Diplomatique, English Edition, January 1999. Für April 2001 war ein neuer Zensus vorgesehen.
  (3) Ministerpräsidenten Georgievski wird ein pro-bulgarischer Kurs unterstellt, ein Vorwurf dem er sich kaum widersetzt. Detail am Rande: er änderte seinen Vornamen von der makedonischen (Ljupco) auf die bulgarische (Ljubco) Schreibweise. Vgl. Magarditsch Hatschikjan: Reparierte Nationen, separierte Gesellschaften. Makedonien und seine neue große Frage, in: Osteuropa 3/2001, S. 316 – 330.
  (4) Die Presse, 27.3.2001, S. 5: „Farbloser Jurist, Präsident und Albaner-Freund.“
  (5) Neue Zürcher Zeitung, 13.2.2001, S.4: „Skandale und Affären in Mazedonien“
  (6) Die Presse, 13.9.2000, S.5: „Wahl in Mazedonien „weder frei noch fair““.
  (7) Die mazedonische UCK (Ushtria Clirimtare Kombetare, Nationale Befreiungsarmee) wählte ihre Abkürzung offenbar bewusst nach der ehemaligen kosovo-albanischen UCK (Ushtria Clirimtare e Kosovoes, Befreiungsarmee Kosovo). Siehe auch: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.3.2001, S.3: „Mißtrauen auf beiden Seiten des ethnischen Grabens“. Nach Ausbruch der Kämpfe im März 2001 wurde ihre Stärke von unabhängigen Beobachtern auf wenige hundert Mann geschätzt, während sie nach eigenen Angaben 2.000 Mann unter Waffen hat und weitere 5.000 Mann jederzeit mobilisieren kann.
  (8) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.3.2001, S.7: „Die Kämpfer aus den Schwarzen Bergen“.
  (9) Diese radikale albanische Partei wurde erst am 11. März 2001 gegründet und fordert eine Föderation von albanischen und slawischen Gebieten in Mazedonien anstelle des bisherigen Gesamtstaates; sie gilt als politischer Arm der mazedonischen UCK. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.3.2001, S.3: „Der Kampf der Veteranen gegen die Funktionäre“.
  (10) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.3.2001, S.6: „Bürgerkrieg oder Internationale Vermittlung“. Economist, 24.3.2001, S. 35f: „War in the Balkans Again?“

Dr. Michael Jandl, MPA ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien.



In the spring of 2001 yet another violent conflict in the Balkans was brewing, this time in Macedonia. This Article maps out 3 possible scenarios where this conflict could be going. It was published in the German Journal "Südosteuropa Mitteilungen", 2001/1.
Im Frühjahr 2001 entwickelte sich ein weiterer blutiger Konflikt am Balkan, diemal in Mazedonien. Der vorliegende Artikel skizziert 3 mögliche Szenarien, die dieser Konflikt einschlagen könnte. Er erschien in der deutschen Zeitschrift "Südosteuropa Mitteilungen", 2001/Nr. 1 - 41. Jahrgang.


HOME