Michael Jandl, 29. Juli 1998
Geschichte
Montenegro ist heute eine der beiden konstituierenden Teilrepubliken der Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ, bestehend aus Serbien und Montenegro). Der Name "Montenegro" (Crna Gora) weist dabei nicht auf die Oberflächenbeschaffenheit der kleinen Republik hin, sondern auf den Anführer jenes serbisch-orthodoxen Volkes, das sich hier - zurückgezogen in die Berge - Anfang des 15. Jahrhunderts gegen die Türken zur Wehr setzte. Anders als Serbien selbst (und anders als der Großteil des Balkans) war Montenegro durch Jahrhunderte selbständig und nicht dem türkischen Sultan untertan. Nach der verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) von 1389 wurde es zur Zufluchtsstätte serbischer Stämme und galt lange als die letzte Bastion eines unabhängigen Serbentums. Die folgenden 500 Jahre permanenten Guerillakampfes, in dem auf keiner Seite zimperlich umgegangen wurde, prägten das Selbstverständnis der Montenegriner als eigenständiges Volk. 1
1862 geriet Montenegro unter türkische Besatzung, von dem es sich nach einem neuerlichen Krieg an der Seite Serbiens, der 1876 begann, jedoch befreien konnte. 1878 erreichte Montenegro am Wiener Kongreß desselben Jahres die Anerkennung vom Osmanischen Reich und konnte sich zugleich bis zur Adria ausdehnen. Im selben Jahr hatte das Großreich Österreich-Ungarn (K.&K.) Bosnien-Herzegowina besetzt, nicht zuletzt um einen direkten Adriazugang für Serbien, seines großen Kontrahenten am Balkan, zu verhindern. Aus dem selben Grund wurde auch gleich der Sandjak-Novi Pazar ("Neumarkt") - zwischen Serbien und Montenegro gelegen - von K. u. K. Truppen besetzt um einen Keil zwischen die Verbündeten zu treiben. Als allerdings Bosnien-Herzegowina im Jahre 1908 formal annektiert wurde, wurde gleichzeitig die Besetzung des Sandjak aufgegeben, und das Gebiet zwischen Serbien und Montenegro geteilt.2 Der mehrheitlich moslemische Sandjak ist allerdings bis heute eine permanente Quelle der Unruhe geblieben. 3
Nachdem Serbien und Montenegro (mit Bulgarien und Rußland) die Türken in den ersten Balkankriegen von 1912 entscheidend geschlagen hatten, kam es auch zu Massakern an Albanern. Der montenegrinische König Nikolaus I. hatte Ambitionen auf Skutari (Shkodre), mußte es allerdings nach kurzer Besetzung auf Druck Österreichs schon 1913 wieder abgeben. 1914 trat Montenegro (mit Serbien und Rußland) in den ersten Weltkrieg gegen Österreich-Ungarn ein und wurde 1916 mit deutscher Hilfe von österreichischen Truppen besetzt. Nikolaus I. hatte sich bereits nach Frankreich abgesetzt. Angeblich kostete ihn die Abwesenheit von seinen Truppen die Sympathie seiner Landsleute, denn nach Ende des I. Weltkrieges sprach sich die montenegrinische Nationalversammlung in Podgorica für die Vereinigung mit dem Königreich der Südslawen aus. Nach der erzwungenen Abdankung des Königs wurde Montenegro dem SHS-Staat einverleibt, wo es durch die zentralistische Verfassung des Königreichs Jugoslawiens von 1929 schließlich auch als Verwaltungsregion beseitigt wurde und in der Bannschaft Zeta (mit der Herzegowina) aufging.
Im II. Weltkrieg wird Montenegro (wie Albanien) vom faschistischen Italien besetzt und wurde alsbald zu einem zentralen Schauplatz des Partisanenkrieges gegen die faschistischen Besatzungen. In der von Marschall Tito 1945 neugeschaffenen Jugoslawischen Föderation wurden die Montenegriner als eine der Nationen Jugoslawiens anerkannt und Montenegro als eine der 6 Republiken in den neuen Bundesstaat eingegliedert. Die neue Hauptstadt, Podgorica, erhielt den Namen Titograd (1992 wird sie wieder umbenannt in Podgorica und offiziell als Verwaltungszentrum bezeichnet; die alte Hauptstadt, Cetinje, wird heute offiziell als "kulturelle Hauptstadt" Montenegros bezeichnet).
Nach dem Tode Titos, 1981, begann der rasche Zerfall eines mulitethnischen
Jugoslawiens, gekennzeichnet durch immer größere Differenzen
zwischen den Republiken und dem zentralistischen Belgrad. Gleichzeitig
begann der politische Aufstieg von Slobodan Milosevic, der den serbischen
Nationalismus für seine Zwecke instrumentalisierte und anfachte. Indem
er zunächst serbische Ängste gegenüber einem autonomen Kosovo
schürte wurde er 1987 zum Präsidenten Serbiens. 1989 organisierte
er Straßenproteste zum Sturz der Regierungen von Kosovo, Vojvodina
und Montenegro, setzte seine eigenen Leute an die Spitze und schaffte den
Autonomiestatus des Kosovo und der Vojvodina innerhalb Serbiens ab, später
setzte er die Armee gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen von Slovenien,
Kroatien und Bosnien ein. Nach den Unabhängigkeitserklärungen
von 4 der 6 Republiken votierte die Bevölkerung von Montenegro in
einem Referendum für einen Verbleib von Montenegro "als souveräne
Republik" innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien. 4
Daten
Fläche: 13 812 km2; Küste: 283 km
Landgrenzen: 814 km
mit Kroatien-14 km; mit Bosnien & Herzegovina-225 km;
mit Albanien-172 km; mit Serbien-203 km
Bevölkerung: 617 000, davon (Zensus 1991):
61.7% Montenegriner 5
9.3% Serben
14.5% Muslims
6.5% Albanianer
8% andere.
Städtische Bevölkerung 58.2%, Landwirte 7.4 %
Bosnien- Flüchtlinge (1993): ca. 60.000
Kosovo- Flüchtlinge (Juli 1998): ca. 20.000
Die Wirtschaftliche Lage in der BRJ
Die wirtschaftliche Situation in der BRJ ist nach wie vor äußerst schlecht. Nach mehr als 3 Jahren (1992-1995) umfassender Wirtschaftssanktionen inklusive einem Handelsembargo, sowie den Verlust aller wichtiger Absatzmärkte innerhalb des ehemaligen Jugoslawiens, der höchsten je verzeichneten Inflationsrate und einer völlig fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik, die vor allem auf Kriegswirtschaft ausgerichtet war und die nötige Modernisierung der verstaatlichten Wirtschaft verhinderte, erreichten die Einkommen in Serbien und Montenegro neue Tiefpunkte. Zudem verhinderte die nationalistische Politik Milosevic´s selbst nach dem Abschluß des Dayton Abkommens eine Aufhebung des "outer wall of sanctions", die die BRJ nach wie vor von internationalen Krediten und der Mitgliedschaft in Weltbank und IMF blockieren.
Nur eine Indikator der tristen wirtschaftlichen Lage stellt dabei die offizielle Arbeitslosenrate von 25,8 % (ca. 815.000 Personen, Oktober 1997) dar, da sie das wahre Ausmaß an Arbeitslosigkeit sicher bei weitem unterschätzt.6 Da die verstaatlichten Industrien seit 1992 keine offiziellen Entlassungen mehr vornehmen, jedoch etwa 700.000 Arbeiter und Angestellte seit Jahren auf "unbezahlten Urlaub" geschickt hat, liegt die inoffizielle Arbeitslosenrate bei mindestens 50 % ! Zusätzlich haben nur etwa 5 % der ca. 600.000 Flüchtlinge in der BRJ einen geregelten Arbeitsplatz.
Das Einkommen selbst jener die noch Arbeit haben reicht dabei kaum für das Lebensnotwendige aus: Das durchschnittliche Monatseinkommen lag im Oktober 1997 bei etwa 888 Dinar (ca. $150), während das benötigte Mindesteinkommen für eine vierköpfige Familie auf etwa 1.542 Dinar geschätzt wurde. Pensionen und Gehälter sind oft Monate im Verzug, 1997 wurden keinerlei Kinderbeihilfe oder Karenzgelder ausbezahlt und nur ca. 2% der Arbeitslosen bekamen irgendeine Form der Unterstützung. Laut dem Wirtschaftsinstitut in Belgrad lebten im Oktober 1997 ca. 4 Millionen Menschen in der BRJ (40 % der Bevölkerung) in Armut.
Die weiteren wirtschaftlichen Aussichten der BRJ bleiben schwarz: Laut einer Studie des Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) von April 1998 wird das Wirtschaftswachstum 1998 und 1999 unter 3 % liegen, die Inflation wird wieder auf ein höheres Niveau von über 50 % ansteigen, die offizielle Arbeitslosenrate wird 28 % erreichen und das Budgetdefizit wird bei rund 10 % liegen. 7
Politische Entwicklung
Im Winter 1996-97, brach der einstmalige Milosevic-Protege, Milo Djukanovic, damals Premierminister von Montenegro, mit Milosevic und beschuldigte ihn öffentlich für die politische und wirtschaftliche Isolation der BRJ. Diese offene Rebellion spaltete Montenegro´s regierende Partei, und Schwesternpartei von Milosevic´s Serbischer Sozialistischer Partei, die demokratische Partei der Sozialisten in ein Djukanovic-Lager und jenes der Anhänger von Djukanovic´s schärfsten Rivalen und Milosevic Mann, Momir Bulatovic. Djukanovic wurde damit zu Milosevic´s gefährlichsten Rivalen innerhalb der BRJ. In einem zweistufigen Wahlgang zur Präsidentschaft von Montenegro im September und Oktober 1997 gewann Djukanovic schließlich gegen Bulatovic mit äußerst knappen Vorsprung. 8 Bulatovic drohte mit öffentlichen Unruhen und der Nichtanerkennung des Wahlergebnisses. Der Oberste Verteidigungsrat debattierte ob ein Notstand ausgerufen werden sollte um Djukanovic von der Machtergreifung abzuhalten, schreckte aber schließlich wegen der Gefahr eines Bürgerkrieges davor zurück. 9 Mitte Jänner 1998, einen Tag vor der Angelobung Djukanovic´s zettelte ein Bulatovic-treuer Mob Unruhen und Straßenschlachten in Podgorica an. 10 Die Ordnung konnte nur wieder hergestellt werden, als Djukanovic vorzeitigen Neuwahlen zum Parlament zustimmte. Diese Neuwahlen wurden für 31 Mai 1998 angesetzt und brachten einen klaren Sieg für Djukanovic´s Parteienbündnis. 11 Die Anhänger von Bulatovic´s Partei errangen nur rund ein Drittel der Stimmen, womit Djukanovic vorerst die alleinige Kontrolle über das montenegrinische Parlament hat und - durch die Entsendung seiner Abgeordneten nach Belgrad - Milosevic´s Pläne mehr Macht auf sein Präsidentenamt zu konzentrieren durchkreuzten konnte. Trotz der großen Bedeutung der Wahlen für Milosevic trat die Befürchtung, daß Milosevic im Falle eines Verlustes einen Ausnahmezustand über Montenegro verhängen würde, nicht ein. Allerdings erkennt die Regierung der BRJ weder Djukanovic als rechtmäßigen Präsidenten, noch das Ergebnis der Parlamentswahlen als rechtmäßig an. Auf der anderen Seite erkennt Djukanovic und seine Mehrheit im montenegrinischen Parlament auch die neue Regierung der BRJ nicht an, nachdem Milosevic den neutraleren jugoslawischen Premierminister Radoje Kontic (der gegen die Verhängung eines Ausnahmezustandes in Montenegro eintrat) durch eben jenen Momir Bulatovic, der der schärfste Gegner Djukanovic´s in Montenegro war, abgelöst hatte. Inzwischen hat Milosevic auch alle anderen politischen Freunde von Djukanovic von ihren Ämtern in der BRJ entfernt und durch seine Gefolgsleute ersetzt. Es ist zu erwarten, daß Milosevic auch weiterhin versuchen wird Djukanovic´s Einfluß in der BRJ zu untergraben und alles daran setzen wird ihn letztendlich auch in Montenegro politisch zu untergraben und neutralisieren. Als ein Versuch Djukanovic und seine Machtbasis zu schwächen könnte auch die Errichtung von Grenzkontrollen zwischen Serbien und Montenegro gewertet werden, die den (Zigaretten-) Schmuggel im großen Stile 12 unterbinden sollten, sowie das Schließen der Grenze zwischen Montenegro und Kroatien bzw. Albanien durch die JNA. 13
Analyse der politischen Lager
A) Milo Djukanovic und sein Reformbündnis "Für ein besseres Leben"
Milo Djukanovic, 35 Jahre alt, 2 Meter groß, Schönling und Frauenliebling tritt heute offen für mehr Marktwirtschaft und Demokratisierung in der BRJ ein. Nach seinem Bruch mit Milosevic wird er in der regimetreuen Belgrader Presse (und nicht nur dort) regelmäßig des illegalen Zigaretten- und Benzinschmuggels bezichtigt und mit dem Beinamen "der Pate" bedacht. Tatsächlich ist unklar, wie der heutige Präsident Montenegros so schnell zu Macht und Vermögen gelangte.
Nach seinem Bruch mit Milosevic im Winter 1996-97 kam es zur offenen Konfrontation mit Momir Bulatovic und schließlich zur Spaltung der Demokratischen Partei der Sozialisten (DU): Im April 1997 kam es zur Kampfabstimmung, 80 % der DU unterstützten dabei Djukanovic, der Rest Bulatovic, der daraufhin die sozialistische Volkspartei (SNP) gründete und "seine" Anhänger mitnahm. In der Präsidentschaftswahl von Montenegro im September 1997 konnte im ersten Wahlgang keine Entscheidung erzielt werden, im zweiten Wahlgang im Oktober 1997 siegte Djukanovic gegen Bulatovic mit nur 6.000 Stimmen Vorsprung trotz (oder wegen?) versuchten Wahlmanipulationen.
Djukanovic kündigte einen kompromißlosen Kampf gegen Jugoslawiens Präsidenten Slobodan Milosevic in allen Bundesinstitutionen an. Die verbale Schlacht zwischen den beiden Politikern eskaliert seit Monaten. Djukanovic bezeichnete Milosevic wiederholt als "untauglich" und forderte seinen Rücktritt. „Entweder wird Milosevic´s Herrschsucht ein Ende gesetzt, oder Jugoslawien fällt allmählich auseinander“, schreibt die in Podgorica erscheinende Zeitschrift Monitor.
Milo Djukanovic tritt dabei für ein gleichberechtigtes, autonomes Montenegro auf, bis jetzt allerdings noch innerhalb der BRJ: „Die Gleichberechtigung von Serbien und Montenegro ist die Grundlage der gemeinsamen Föderation. Wenn es keine Gleichberechtigung gibt, gibt es auch keine Bundesrepublik Jugoslawien“, erklärte Djukanovic. Die Ablösung von Kontic hätten sechs Bulatovic-treue montenegrinische Abgeordnete im Bundesparlament ermöglicht, die das montenegrinische Parlament jedoch davor abberufen hatte. Deshalb sei die Entscheidung verfassungswidrig. „Wir erkennen diese Bundesregierung nicht an. Jugoslawien existiert zwar noch immer, doch der Bundesstaat ist nicht mehr legitim“, erklärte der montenegrinische Parlamentspräsident und Freund Djukanovic´s Svetozar Marovic.
Obwohl Djukanovic sich mit offener Kritik an der Belgrader Kosovopolitik eher zurückgehalten hat, sprach er sich gegen einen Einsatz der Armee und gegen einen Einsatz von Montenegrinischen Rekruten im Kosovo aus. In der Vergangenheit hatte er sich zwar für eine Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens ausgesprochen, doch während des Wahlkampfes im Frühjahr 1998 hielt er sich verbal eher zurück, vermutlich um die serbisch-nationalen Gefühle nicht weiter gegen ihn aufzuheizen.
Bei den Parlamentswahlen am 31. Mai 1998 erreicht das Reformbündnis "Für ein besseres Leben" 52 % der Stimmen, während die SNP nur ca. 30 % erreichte. Damit hat Djukanovic im montenegrinischen Parlament die absolute Mehrheit von 42 Sitzen und kann auf die Unterstützung durch den neuen Premierminister Filip Vujanovic zählen. 14 Djukanovic unterhält auch gute Beziehungen zur albanischen und moslemischen Minderheit in Montenegro und garantierte ihnen 3 Mandate im Parlament und andere politische Posten.
Neben seiner Mehrheit im mont. Parlament kontrolliert Djukanovic auch die mont. Polizei und den mont. Staatssicherheitsdienst und die meisten Medien in Montenegro, so z.B. die Zeitschrift "Monitor" und die Nachrichtenagentur "Montena-Fax".
Durch seine Kooperationsbereitschaft mit dem Westen sicherte sich Djukanovic bisher auch die Unterstützung des Westens. Dabei wolle er auch mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kooperieren, allerdings keine montenegrinischen Staatsbürger ausliefen, sondern für einen fairen Prozeß in Montenegro sorgen. Vor allem aber will Djukanovic aus der wirtschaftlichen Isolation der BRJ ausbrechen und vom IWF und der Weltbank aufgenommen werden. Bei seinem Staatsbesuch in den USA im Frühjahr 1998 erhielt er politische Unterstützung und das Versprechen von Wirtschaftshilfe zur Kompensation der Einbußen durch den "outer wall of sanctions". Von der EU bekam er schon konkret OES 40 mio Finanzhilfe als ausgleichende Maßnahme zugesagt, Anfang Mai 1998 traf er auch Klima und Schüssel in Wien. Bemerkenswert ist auch, daß Djukanovic schon im April 1997 eine Kreditzusage von Griechenland, einem traditionellem Verbündeten Serbiens, in der Höhe von OES 1.1 mrd erreichen konnte.
Djukanovic und die Reformkräfte in Montenegro werden auch zunehmends ungeduldiger mit der Wirtschaftspolitik Serbiens, die alle Anstrengungen die Wirtschaft zu modernisieren unterwandern. Die 45 %-ige Abwertung des jugoslawischen Dinars traf Montenegro ebenso wie Serbien (wie auch die "Republika Srpska", die inzwischen auf die Stabilität der "konvertibilna marka" setzt). Wenn Milosevic, wie zu erwarten ist, wieder die Notenpresse in Gang setzt um den Krieg im Kosovo zu finanzieren, könnte Montenegro versuchen sich wirtschaftlich von Serbien abzunablen. Das Leistungsbilanzdefizit Serbien beläuft sich inzwischen schon auf $ 2 mrd, oder 10 % des BIP. Und immerhin hatte Djukanovic schon im März 1997 mit der Einführung einer eigenen Währung (dem "perper") gedroht.
Nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung des Westens verkörpert Djukanovic die Hoffnung vieler Montenegriner aus der internationalen Isolation und der anhaltenden Wirtschaftsmisere ausbrechen zu können. Wie weit diese Unterstützung allerdings im Ernstfall reichen würde ist fragwürdig. Trotz mancher gegenteiliger Aussagen 15 ist doch klar, daß der Westen keine neuen Grenzziehungen im Balkan wünscht und wohl gegen eine Sezession von Montenegro (wie auch im Falle Kosovos) auftreten würde. Außerdem ist der Reformkurs Djukanovic´s innerhalb der BRJ nützlicher als außerhalb, und sei es nur als Beispiel für Serbiens zerstrittene Opposition gegen Milosevic.
Denn die demoralisierte serbische Opposition hofft nun auf eine Sogwirkung aus der kleinen Bruderrepublik Montenegro. „Wir haben gewonnen“, erklärte deshalb der Chef der Demokratischen Partei in Serbien und Ex-Bürgermeister Belgrads, Zoran Djindjic anläßlich des Wahlsieges Djukanovic´s. Dieser wie auch Vesa Pesic (vormals zusammen im zerbrochenen Wahlbündnis Zajedno) unterstützen klar den Kurs von Djukanovic. Und Djukanovic selbst rief seinen Anhängern zu „Das ist unser vorletzter Sieg, der endgültige Triumph wird sein, wenn die Demokratie in ganz Jugoslawien gewinnt“.
B) Slobodan Milosevic und Momir Bulatovic, der "Haudegen Milosevic´s"
Bulatovic, von seinen Gegnern der „Haudegen Milosevic´s“ genannt, wird aus Belgrad finanziert und ist ein Mann des jugoslawischen Bundespräsidenten Slobodan Milosevic. Nach seiner Wahlniederlage in Montenegro hat Milosevic noch am 20 Mai 1998 (also vor den mont. Parlamentswahlen) ein Mißtrauensvotum gegen Ministerpräsident der BRJ Radoje Kontic durchgepeitscht und dann seinen Schützling Bulatovic im Schnellverfahren gegen den Willen des montenegrinischen Parlaments zum jugoslawischen Ministerpräsidenten ernannt. Seitdem agiert Bulatovic in offener Feindschaft zu Djukanovic - beide erkennen einander in ihrer offiziellen Funktion nicht an. Neben seiner neuen Funktion als Premierminister der BRJ ist Bulatovic auch noch Vorsitzender der zweitgrößten Fraktion im montenegrinischen Parlament und hält mit seiner SNP - der Bulatovic-treuen Abspaltung der DPS- 29 von 78 Sitzen. Geographisch wird er dabei eher von den ärmeren Bewohnern des ländlichen Nordens unterstützt, obwohl er in den Parlamentswahlen auch in den Städten des Nordens gegen Djukanovic unterlag.
Obwohl Milosevic die Abgeordneten der ersten Kammer des jugoslawischen Bundesparlaments durch seine Sozialistische Partei - in Koalition mit der Radikalen Partei Serbiens (SRS) von Vojislav Seselj - kontrolliert, braucht er für wichtige Gesetzesvorlagen auch die Zustimmung der zweiten Kammer (Kammer der Republiken), in die Montenegro die Hälfte der Abgeordneten entsendet. Faktisch bedeutet das, daß der Wahlsieg Djukanovic´s die Pläne Milosevic´s zunächst auf den Präsidentenstuhl der BRJ zu wechseln (was bereits geschah) und anschließend die geringe formale Macht diese Amtes auch formal aufzuwerten, zunichte gemacht hat. Theoretisch könnte Milosevic auch ein Amtsenthebungsverfahren durch das Parlament drohen, doch ist es eher unwahrscheinlich, daß sich Djukanovic und die montenegrinischen Abgeordneten für eine so riskante Machtprobe stark genug fühlen. Kurzfristig droht im gesamtjugoslawischen Parlament daher eine Pattstellung, langfristig wird das "Problem" für Milosevic immer virulenter: in spätestens 3 Jahren braucht er die Zustimmung beider Kammern des Parlaments der BRJ wieder für seine Wiederwahl. Angesichts Milosevic´s politischem Werdegang ist zu erwarten, daß er bis dahin alles unternehmen wird um seine Gegner zu neutralisieren und an der Macht zu bleiben.
Aus dem gleichen Grund kommt für Milosevic eine völlige Abspaltung von Montenegro aus der BRJ nicht in Frage. Zunächst würde dann die BRJ aufhören zu existieren und damit natürlich auch das Präsidentenamt, das er zur Zeit innehat. Weiters würde es einen weiteren Rückschlag für die Idee eines "Großserbiens" bedeuten, weshalb auch alle nationalistischen Kräfte in Serbien dagegen mobilmachen würden. Für die Armee wäre der Verlust ihres Kriegshafens am Mittelmeer und der Kriegsflotte kaum hinnehmbar und schließlich würde eine Abspaltung Montenegros Serbien völlig vom Zugang zum Meer und einer wichtigen Importroute für die serbische Schwerindustrie abschneiden. (Andererseits würde sich Montenegro damit selbst eine bedeutende Einnahmequelle durch Zigaretten- und Benzinschmuggel nach Serbien abschneiden).
Milosevic´s Macht innerhalb Serbiens scheint ungebrochen, auch wenn immer größere Teile der serbischen Öffentlichkeit genug von ihm haben. Er kontrolliert nach wie vor die serbische Spezialpolizei, den Staatssicherheitsdienst und das Bundesheer (Der Verteidigungsminister der BRJ, Pavle Bulatovic, ist sogar die "rechte Hand" von Momir Bulatovic, und stammt aus demselben Clan wie dieser; andererseits verweigerte der Generalstabschef der JNA, Momcilo Perisic, die Zustimmung für einen Militäreinsatz in Montenegro nach den für Milosevic "verlorenen Wahlen" in Montenegro; einen möglichen Anlaßfall für eine serbische Militärintervention in Montenegro könnte z.B. der Konflikt um die Halbinsel Prevlaka (Kroatien) bilden, die die Bucht von Cotarro beherrscht wo die jugoslawische Kriegsmarine liegt).
Inzwischen hat Milosevic auch alle regimetreuen serbischen Medien, das ist der Staatsfunk, das Fernsehen und fast alle serbischen Zeitungen und Zeitschriften, auf einen anti-Djukanovic Kurs eingeschworen. Serbien führt nun einen Medienkrieg gegen Djukanovic und dessen „sezessionistische, verräterische und kriminelle“ Politik. Die nationalistische Opposition in Serbien, vor allem die "serbische Erneuerungsbewegung" von Vuk Draskovic, sowie der nunmehrige Koalitionspartner von Milosevic, die Radikale Partei Serbiens (SRS) von Vojislav Seselj, agitieren ebenfalls aus vollen Rohren gegen den moderaten Kurs von Djukanovic. Allerdings könnte sich das rasch ändern, falls sie sich daraus taktische Vorteile und Machtgewinn erwarten.
Schlußbemerkungen
Das politische Geschehen in der kleinen jugoslawischen Teilrepublik
Montenegro wird auch weiterhin von der Auseinandersetzung zwischen den
Reformkräften um Milo Djukanovic und den reaktionären Kräften
und Anhängern von Momir Bulatovic und seinem politischen Ziehvater
Slobodan Milosevic geprägt sein. Um an der Macht zu bleiben wird Milosevic
in gewohnter Manier alles versuchen um Djukanovic zu neutralisieren. Dessen
Überleben und die Chance für demokratische Reformen innerhalb
der BRJ hängen entscheidend von der diplomatischen und wirtschaftlichen
Unterstützung des Westens für die moderaten Kräfte in Montenegro
ab. Die Gefahr, daß die internationale Diplomatie "ihren" neuen Mann
in Montenegro für eine Beruhigung im Kosovo an Milosevic verkauft,
ist groß. Doch könnte sich dies als kurzlebiger Sieg herausstellen.
Nur eine nachhaltige Demokratisierung in der BRJ, zusammen mit einem breiten
wirtschaftlichen Aufschwung und neuer Hoffnung für die große
Masse der Bevölkerung kann die BRJ noch retten.
ANHANG
The new Montenegrin Coalition Government proposed by the mandatar Mr. Filip Vujanovic and adopted by the Parliament in February 1998.
Prime Minister: Mr Filip Vujanovic
Deputy Prime Ministers:
Mr MIODRAG VUKOVIC
Mr MILUTIN LALIC
Mr ASIM TELACEVIC
Mr SLAVKO DRLJEVIC
Mr PREDRAG DRECUN
Ministers without portfolio:
Dr. RAJKO MILOVIC
Mr SLAVOLJUB STIJEPOVIC
Mr MILADIN VUKOTIC
Mr FERHAT DINOSA
Mr VOJIN LAZAREVIC
Justice Minister:prof. dr. SLOBODAN BLAGOJEVIC
Environment: Mr SALIJA ADROVIC
Interior: Mr VUKASIN MARAS
Finance: dr PREDRAG GORANOVIC
Foreign Affairs: Mr BRANKO PEROVIC
Energy, Industry, Mines: Mr MIODRAG GOMILANOVIC
Agriculture and Forestry: Mr. MILUTIN SIMOVIC
Planning: Mr RADOVAN BAKIC
Health: Mr MIROSLAV IVANISEVIC
Labour and Social Security: Dr. MIOMIR MUGOSA
Religion: Mr SLOBODAN TOMOVIC
Sport: Mr BOZIDAR IVANOVIC
Eduction and Science: Mr DRAGAN KUJOVIC
Culture: Mr BUDIMIR DUBAK
Navigation and Transport: Mr JUSUF KALAMPEROVIC
Tourism: Mr IVO ARMENKO
Trade: Mr. RAMO BRALIC
New members of the Council for the protection of national and ethnic groups
are Bishop Ilija Janjic of
Kotor and President of the Branch of the Democratic Union of Albanians
for Malesija Mr Prelja Vukaj.
Fußnoten:
1 Der geschichtliche Abriß basiert vorwiegend auf Manfred
Scheuch´s "Atlas zur Zeitgeschichte. Europa im 20. Jahrhundert",
3. Auflage, 1994
2 Der K.u.K. Außenminister verwies auf bestehende Differenzen
zwischen Serbien und Montenegro, die eine gefährliche Allianz verhindern
würden. Tatsächlich wehrte sich Nikolaus I.Petrovic Njegos (spöttelnd
"Nikita" genannt), der erste und letzte König Montenegros, gegen "pan-serbische
Umtriebe" in seinem Land.
3 Heute leben im Sandjak ca. 250.000 Moslems und ca. 180.000
Serben und Montenegriner. In einem (von Serbien verbotenen) Referendum
im serbischen Teil des Sandjak am 27. 10. 1991 votierte eine klare Mehrheit
für eine Autonomie des Sandjak. Daraufhin wurde das regionale Parliament
aufgelöst, die moslemische SDA verboten, und der Sandjak unter Zentralverwaltung
von Belgrad gestellt.
4 The people of Montenegro, unlike their counterparts in Serbia,
took part in a referendum, and ticked "yes", answering the somewhat ambiguous
referendum question: "Are you for, that Montenegro, as a Sovereign Republic,
continues living in the common state - Yugoslavia, entirely equal with
other republics that wish the same?" (Da li ste za to da Crna Gora, kao
suverena republika, nastavi da zivi u zajednickoj drzavi -Jugoslaviji,
potpuno ravnopravno sa drugim republikama koje to zele?). According to
its Constitution, Montenegro is defined as a "democratic, social, and ecological
state" (article 1.) which is "sovereign in matters that are not transferred
to competence of FR Yugoslavia" (article 2.).(Source: Montenet)
5 Fluctuations between a Serb and Montenegrin identity have been
reflected in Yugoslav census figures. In 1981, for example, 68.5 percent
of the residents of Montenegro identified themselves as Montenegrin, and
3.3 percent reported themselves as Serb. By 1991 those figures had changed
to 61.8 percent and 9.3 percent, respectively. The largest non-Serb minorities
are Muslims and Albanians, the former concentrated in the northern mountains
and the latter along the Adriatic coast. Nearly three-quarters of the population
of the coastal community of Ulcinj is Albanian.
6 Most of the unemployed are young; as many as 46% are 15-24
years old, and one-third are aged 25-34 years old. 62% of the unemployed
are first-time job seekers. (Source: International Orthodox Christian
Charities, Program in Former Yugoslavia, Refugee Self-Help Initiatives,
January 1998)
7 WIIW, Vladimir Gligorov, FR Yugoslavia: More problems ahead,
April 1998
8 Djukanovic defeated Bulatovic in last October's presidential
election by a margin of just over 6,000 votes. Of 470,738 eligible voters,
close to 340,000 cast valid ballots, 173,900 for Djukanovic and 166,771
for Bulatovic. (Source: IGC, 1998, FN 17)
9 According to Vreme magazine, an independently owned Belgrade
weekly, Milosevic and Yugoslavia's defence minister,
Pavle Bulatovic, a relative of Momir Bulatovic, advocated introducing a
state of emergency. The Yugoslav Army's chief of staff, General Momcilo
Perisic, and Yugoslavia's prime minister, Radoje Kontic, disagreed with
the move. Perisic later went public, explaining that an attempt by the
army to secure Bulatovic's position in Montenegro might lead to a civil
war.(Source: IGC)
10 On the eve of the inauguration, Mr. Bulatovic led a mob towards
Mr Djukanovic's offices in Podgorica, Montenegro's capital, then disappeared.Clashes
between police and some 8.000 demonstrators armed with guns and Molotov
cocktails left at least 40 injured, some badly. (The Economist, Jan. 17th,
p. 31).
11 According to the Belgrade and Podgorica press, the political
parties in Montenegro have broken down into two camps with one party hanging
in the balance. In the Djukanovic camp are the Democratic Party of Socialists,
the National Party, and the Social Democratic Party; these parties are
conferring with Montenegro's Albanian parties and the Muslim Party for
Democratic Action about the formation of a coalition government after the
elections. The Bulatovic camp is led by his breakaway faction of the Democratic
Party of Socialists, which is called the Socialist National Party; it has
been joined by Milosevic's Yugoslav United Left (YUL), the Serbian National
Party, and the ultranationalist Serbian Radical Party of Vojislav Seselj.
The middle-of-the-road Liberal Alliance is independent of the two blocks.(Source:
ICG).
12 Die EU verliert Schätzungen zufolge rund $ 1 Milliarde
durch den Zigarettenschmuggle über Montenegro. (Economist, June 6th
1998, p. 34).
13 Eine wichtige Schmuggelroute führt über Shkodra
(Albanien) nach Montenegro (Economist, February 7th 1998, p. 39). Die Anstrengungen
Djukanovic´s den Schmuggel zu unterbinden scheinen zumindest zweifelhaft.
(Economist, Survey, Jan 24th 1998, p. 14)
14 After the elections held on 31.05.1998, seven parties are
currently represented in the Montenegrin Parliament. The Democratic Party
of Socialists (DPS) holds 30 seats; People's Party 7; Social Democratic
Party (SDP) 5; Socialist People's Party (SNP) 29; Liberal Alliance of Montenegro
5; Democratic Alliance of Montenegro 1, and Democratic League of Albanians
1 seat. DPS, SDP, and People's Party comprise the coalition "For a Better
Life" and has a majority in the Montenegrin Parliament (42 seats). (Source:
Montenet)
15 The commander of NATO`s southern wing even suggested that
the alliance would defend Mr. Djukanovic if Mr. Milosevic tried to remove
him by force. (Source: The Economist, Jan. 24th, Survey- p. 14)