Michael Jandl, 31.7.2003
Hand aufs Herz: Was wissen Sie über Moldawien? Zunächst: Das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine heißt heute eigentlich Republik Moldau. Statistisch gesehen ist es das ärmste Land Europas. Und: Schon in ein paar Jahren, wenn Rumänien der EU beitritt, wird die Republik Moldau direkt an der EU Außengrenze liegen. Zeit für einen Lokalaugenschein.
„Wissen Sie, unser Land hat große wirtschaftliche Schwierigkeiten und viele Menschen sind frustriert. Und Emigration ist besser als Revolution, oder?“ meint Ion Stavila, Vizeaußenminister der Republik Moldau. Und er weiß wovon er spricht. Flankiert von seinen beiden Sekundanten bringt er die Sache ironisch auf den Punkt: „Jene Bürger, die nach Europa ausgewandert sind um dort zu arbeiten, helfen uns sehr. In gewissen Sinne sind sie uns ja nur vorausgegangen. Die Republik Moldau wird ihnen folgen – Präsident Woronin hat die europäische Integration zum prioritären Ziel erklärt“.
Die massenhafte Auswanderung aus dem verarmten Land ist tatsächlich zu einem bedeutenden wirtschaftlichen und politischen Faktor in der jungen Republik geworden. Bei einer Gesamtbevölkerung von 4,3 Millionen Einwohnern sind alleine im letzten Jahrzehnt zwischen 600.000 und 1 Million Menschen angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage ins Ausland abgewandert, um dort – überwiegend illegal und ohne Arbeitsbewilligung –Geld zu verdienen und an ihre Familien nach Hause zu überweisen. Schätzungen zufolge sind die (offiziellen und inoffiziellen) Überweisungen der Moldawier in die Heimat doppelt so hoch wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt des verarmten Landes!
Doch der Vizeaußenminister der einzigen kommunistischen Regierungspartei Europas, die sich auch heute noch offen als „kommunistisch“ bezeichnet, hat auch noch in einem anderen Sinne Recht, wenn er von einer „Hilfe“ der Emigranten spricht, zumindest für seine eigene politische Zukunft. Es ist nämlich vorwiegend die junge Generation, die dem Land den Rücken kehrt, wodurch sich die demographische Balance stetig zugunsten der älteren Generation verschoben hat. Und die alte Generation stellt vor allem die Wählerschaft der kommunistischen Partei, meint Pater Klaus Kniffki, römisch-katholischer Priester aus Schwaben, der eine kleine Gemeinde von Katholiken in Chisinau betreut: „Es gibt eine Nostalgie bei den Alten – früher als noch die Subventionen aus Moskau kamen, sei alles besser gewesen – während bei den Jungen vor allem Orientierungslosigkeit und Frustration über die schlechte Wirtschaftslage vorherrschen. Die wollen möglichst schnell weg.“ Es war also nicht zuletzt die Abwanderung, die den Kommunisten bei den letzten Wahlen im Jahr 2001 zur absoluten Mehrheit verhalf.
Der Weg ins Ausland wird durch professionelle Hilfe erleichtert. Zahlreiche als „Reisebüros“ getarnte Schlepperorganisationen besorgen – gegen das nötige Kleingeld – gefälschte Dokumente und organisieren die Schleusung ins Ausland: Ins benachbarte Rumänien, in die Ukraine, nach Russland oder nach Italien, Spanien oder Portugal, wo viele Moldawier als Erntehelfer, im Bau oder im Haushalt illegal zum Einsatz kommen. Eine durchaus verständliche Überlebensstrategie, denn angesichts eines Durchschnittslohns von 45 Euro pro Monat (ein Pensionist bekommt 13 Euro, ein Parlamentarier verdient 120 Euro) erscheint jede Arbeit im Ausland, egal wo und unter welchen Umständen, wie ein Lottogewinn. Aber die Abwanderung hat nicht nur kurzfristige politische wie ökonomische Konsequenzen sondern droht auch langfristig zu einem ernsten Entwicklungshindernis zu werden. So sind in den letzten Jahren über 45.000 Lehrer abgewandert, klagt Georghe Rusnac, Rektor der staatlichen Universität der Republik Moldau. Und der Abwanderungsdruck hält unvermindert an: Als Bewohner eines einstmals rumänischen Gebietes haben die meisten Moldawier einen Rechtsanspruch auf einen rumänischen Pass. Bereits Anfang 2002 sollen etwa 500.000 Moldawier einen rumänischen Pass besessen haben. Seitdem rumänische Staatsbürger in der EU Visumsfreiheit genießen gab es eine Flut von weiteren Anträgen bei den Behörden in Bukarest. Einige Schätzungen gehen mittlerweile davon aus, dass bereits bis zu 2 Millionen Moldawier einen rumänischen Pass besitzen.
Doch die schlechte Wirtschaftslage und die Abwanderung
sind nicht die einzigen Probleme der Republik Moldau. Internationales Interesse
besteht vor allem an der Lösung des Konflikts um die selbsternannte
„Transnistrische Moldau-Republik“ (PMR), einem schmalen Streifen Land östlich
des Dnjestr, der von niemandem als Staat anerkannt wird und in dem der
Schwarzhandel und die Korruption blühen. Dieses etwa 700,000 Einwohner
zählende Gebiet mit starkem russischsprachigem Anteil hatte sich schon
im Jahr 1990 für unabhängig erklärt und wird heute immer
noch vom zwielichtigen Präsidenten Igor Smirnow beherrscht. Bereits
im Jahre 1992 war es zwischen der PMR und der Republik Moldau zu einem
Bürgerkrieg gekommen, der schließlich durch die Intervention
der 14. russischen Armee unter General Lebed gestoppt wurde. Seitdem hat
sich kaum mehr etwas bewegt, und ein kleiner Teil der 14. Armee steht immer
noch in der PMR, obwohl Russland unter Vermittlung der OSZE schon mehrmals
den Rückzug zugesagt hatte – zuletzt wurde der Abzugstermin allerdings
wieder um ein Jahr, bis Ende 2003, verlängert. Nun macht allerdings
auch die EU Druck auf die PMR. Vor einigen Wochen wurde Smirnow und sein
Kabinett von der EU wegen krimineller Machenschaften mit einem Einreiseverbot
belegt, worauf die PMR ihrerseits trotzig mit einem Einreiseverbot für
14 moldauische Politiker, darunter Präsident Woronin, dessen Mutter
in der PMR lebt, reagierten. Trotz des Geplänkels sieht die OSZE durchaus
bescheidene Fortschritte bei der Umsetzung des von ihr vorgelegten „Föderalisierungsplans“
zur Wiedervereinigung des Landes. Gemäß dem Plan sollte eine
paritätisch besetzte Kommission innerhalb von 6 Monaten eine neue
Verfassung ausarbeiten, die im Anschluss in beiden Landesteilen einem Referendum
unterzogen werden sollte.„Beide Parteien haben nun die Kommissionsmitglieder
ernannt, und wir konnten uns vorige Woche endlich auf einen Ort für
die Gespräche einigen“ strotzt Matti Sidoroff, Pressesprecher der
OSZE in Chisinau allerdings nicht gerade vor Zuversicht. Mittlerweile schreitet
auch der Abzug der 14. Armee langsam voran, wobei das größte
Problem und Sicherheitsrisiko der Verbleib der enormen Mengen von
Munition aus den Beständen der russischen Armee darstellt. „Von insgesamt
42.000 Tonnen Sprengstoff sind bisher etwa 12.000 Tonnen aus der PMR nach
Russland abtransportiert worden, der Rest entspricht immer noch etwa 2
mal der Explosionskraft der Hiroshima-Bombe.“, so Sidoroff. Und das in
einer abtrünnigen Republik mitten in Europa.
„Wir sehen die Restauration eines totalitären Regimes“ Iurie Rosca, Präsident der Christdemokratischen Volkspartei (PPCD), setzte Anfang der 90er Jahre noch auf die rumänisch-nationalistische Karte und forderte einen raschen Anschluss seines Landes an Rumänien. Mittlerweile zu einem moldauisch-nationalem Kurs konvertiert, gilt seine Partei heute als einzig wirkliche Oppositionspartei und genießt unter anderem auch Wahlhilfe der deutschen CDU. Das folgende Gespräch mit dem Oppositionsführer wurde kurz vor den Lokalwahlen am 25. Mai 2003 geführt, bei denen die Kommunistische Partei mit insgesamt 48 % aller Stimmen im ersten Durchgang einen weiteren Wahlsieg davontrug, während die PPCD als drittstärkste Partei nur 8.8 % einfuhr, noch weit hinter der Sozialliberalen Allianz „Unsere Moldau“ mit 20 %. MJ: Herr Rosca, warum haben die Kommunisten die Wahlen 2001 so klar gewonnen? IR: Das Wahlergebnis von 2001 war wirklich eine große Überraschung für Europa. Die Republik Moldau trat plötzlich aus dem Schatten hervor. Wichtige westliche Zeitungen schrieben, dies sei das erste Mal in Europa, dass eine offen kommunistische Regierung in freien Wahlen gewählt worden sei. Dafür gab es 2 Gründe: Erstens war das Land auch nach der Unabhängigkeit 10 Jahre lang von der kommunistischen Nomenklatura dominiert worden und zweitens ging auch die Korruption und der soziale Druck auf die Bevölkerung unvermindert weiter. Dazu kommt noch die veränderte Altersstruktur – es sind ja vor allem die Alten die zu den Wahlen gehen, die Jungen sind entweder im Ausland oder sie gehen nicht hin. Und schließlich ist da noch der Einfluss Russlands... MJ: Die Regierung betont aber doch das Ziel der europäischen Integration? Das sind alles glatte Lügen! Wir sehen heute die Restauration eines totalitären Regimes, sowohl durch Gesetzesänderungen als auch durch den Missbrauch der Macht des Verwaltungsapparats. Wir sind vor allem besorgt über die systematische Zerstörung der Medienfreiheit, der lokalen Autonomie, der fundamentalen Menschenrechte, der Versammlungsfreiheit. MJ: Wie sehen Sie die Chancen Ihrer Partei bei den Lokalwahlen am Sonntag? Die Situation in Moldau ist insofern einzigartig, als der einzige nationale Fernsehkanal in staatlicher Hand ist und als Propagandawerkzeug missbraucht wird. Alle unabhängigen Medien werden hingegen terrorisiert. Letzte Woche wurde die größte unabhängige Wochenzeitschrift „Flux“ von der Staatsanwaltschaft besucht und der Herausgeber nach seinen Informanten verhört – nur weil er es wagte kritische Artikel über Korruption zu schreiben. Unsere Wahlhelfer werden regelmäßig von Polizisten abgeführt, wenn sie versuchen auf der Straße Informationsmaterial zu verteilen. Erst nach meiner Intervention als Parlamentarier werden sie wieder freigelassen. Unter diesen Umständen ist es klar, dass die Kommunisten die Wahlen gewinnen werden, vor allem am Land. In Chisinau haben wir aber eine gewissen Chance. MJ: Was denken Sie über den „Föderalisierungsplan“ zur Lösung der Transnistrien-Frage? Es ist eine absurde Situation, wenn 2/3 der Bevölkerung von einer russischen Minderheit diskriminiert werden. Der Plan ist Teil der Strategie Russlands die Verfassung der Republik Moldau so zu ändern, dass sie ihr Militär in die Republik Moldau bringen kann – unter Zustimmung der westlichen Staaten. Ich verstehe nicht, wie die OSZE diesen Plan unterstützen kann. Das Gespräch führte Michael Jandl
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