Von Dayton über Rambouillet nach Ohrid
Michael Jandl, 19.9.2001
Die oberflächige Parallelität der Friedensmissionen auf dem Balkan ist trügerisch.
Der Abschluss eines umfassenden Friedensabkommens zwischen verfeindeten
Volksgruppen unter internationaler Vermittlung am Balkan scheint mittlerweile
eine bekannte Routine für die Friedensmacher des Westens geworden
zu sein. Doch ein Vergleich der Friedensmissionen in Bosnien und dem Kosovo
mit Mazedonien zeigt die Besonderheiten der internationalen Intervention
in Mazedonien.
1. Das Dayton Abkommen beendete das Schlachten in Bosnien nach mehr
als 3 ½ Jahren Krieg und mehr als 250.000 Toten. Es kam erst nach
einer bedeutenden militärischen Wende zugunsten der bosniakisch-kroatischen
Föderation mit Hilfe eines zielgerichteten militärischen Eingreifens
der NATO zustande. Die Konferenz von Rambouillet wiederum, die 1 Jahr bewaffneten
Aufstand im Kosovo beenden sollte und selbst nur unter Androhung massiver
NATO Luftangriffe zustande kam, scheiterte an der Sturheit von Slobodan
Milosevic und führte in der Folge zur Durchsetzung der internationalen
Forderungen auf militärischem Wege. Insgesamt forderte der Kosovokonflikt
an die 15.000 Leben. Auch die Friedenskonferenz im mazedonischen Ohrid
zur Beendigung eines 7 monatigen Aufstands albanischer Rebellen im Nordosten
Mazedoniens kam nur unter massivem internationalen Druck zustande, wenn
auch ohne militärische Interventionsdrohungen. Der Konflikt in Mazedonien
forderte bisher zwischen 200 und 300 Tote.
2. Ein wichtiger Unterschied in der Beendigung dieser Konflikte bestand
in der Gewichtung der internationalen Vermittler. Spielte die EU in Dayton
selbst keine Rolle, saß sie in Rambouillet in der Form von EU-Chefverhandler
Wolfgang Petritsch gleichberechtigt am Verhandlungstisch und übernahm
in Ohrid (in der Gestalt von François Léotard und Javier
Solana) sogar eine führende Rolle. Doch wird die EU letztendlich genug
Gewicht haben, ein Wiederaufflammen der Gewalt zu verhindern? Mehr noch
als in Bosnien (wo die EU tragisch scheiterte) steht in Mazedonien auch
die Glaubwürdigkeit der EU als ernstzunehmender außenpolitischer
Akteur auf dem Spiel.
3. Das Resultat der Friedensverhandlungen in Dayton ist ein umfassender
Friedensvertrag, der seitdem als “Verfassungsgrundlage” Bosniens dient
und zur Stationierung von zunächst 60.000 IFOR Truppen führte.
Was die Friedenskonferenz von Rambouillet nicht erreichen konnte wurde
daraufhin durch die militärische Intervention der NATO erzwungen,
nämlich der Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte und
die Stationierung einer 46.000 Mann starken KFOR Truppe, sanktioniert durch
UNO Resolution 1244. Im Vergleich dazu sah der Friedensplan von Ohrid nur
ein sehr bescheidenes Mandat einer internationalen Truppe vor – eben jene
3.500 NATO Soldaten, die als “Task Force Harvest” (TFH) die Entwaffnung
der UCK auf freiwilliger Basis innerhalb von 30 Tagen abschließen
sollten. Wie immer die nachfolgende internationale “Präsenz” aussehen
wird, sie wird jedenfalls einige Dimensionen kleiner als das internationale
Engagement in Bosnien und dem Kosovo sein. Das aber heißt: Im Ernstfall
können sich die Rebellen jederzeit aus dem Zivilleben wieder in die
Berge begeben, selbst wenn eine “bedeutende” Anzahl ihrer Waffen eingesammelt
wurde, während die Aufrüstung auf slawischer Seite ohnehin ungehindert
weitergehen kann – durch staatliche und paramilitärische Gruppen
mit so martialischen Namen wie “Tiger”, “Skorpione” oder “Löwen”.
4. Der größte Unterschied in den Friedensprozessen in Bosnien,
dem Kosovo und Mazedonien liegt aber in der inneren Kohärenz der Streitparteien.
Nach 3 ½ Jahren Krieg in Bosnien hatten sich die Fronten verhärtet
und das Land war in 3 feindliche nationalistische Lager gespalten. Im Kosovo
war die albanische Bevölkerung geschlossen hinter ihrer Führung
vereint, zuerst friedlich, dann gewalttätig für die nationale
Sache einzutreten, während auf serbischer Seite die Diktatur Milosevics
die innere Opposition an die Wand drückte. In Mazedonien ist die slawische
Seite – schon mit Blick auf die nächsten Wahlen Anfang 2002 – tief
gespalten, während das Spektrum auf albanischer Seite von den moderaten
politischen Parteien über eine angeblich kooperationswillige UCK bis
zu einer neuen radikalen Rebellengruppierung (Albanische Nationalarmee,
ANA) reicht.
5. Aus der inneren Kohärenz der Streitparteien ergibt sich auch
ob und für wen die Vertragsbedingungen annehmbar sind und in welcher
Form sie umgesetzt werden. In Bosnien gelingt das trotz hoher ethno-politischer
Kohärenz innerhalb der drei ethnischen Gruppen und massivem internationalen
Einsatz nach wie vor nur mehr schlecht als recht, im Kosovo bisher gar
nicht (Rückkehr der serbischen Flüchtlinge). Dem gemäß
stehen in Mazedonien alle Zeichen auf Sturm: Das Amnestieangebot an die
Rebellen wurde nur vom gemäßigten Präsidenten Trajkovski
gemacht, eine Reihe von slawisch-nationalistischen Abgeordneten stellten
sich offen gegen das Friedensabkommen, einzelne Rebellenführer kündigten
an, ihre Waffen nicht abzugeben u.s.w.
Aus all dem ergeben sich mehrere Anhaltspunkte für die jüngste Balkan Friedensmission: Die “internationale Präsenz” in Mazedonien ist sowohl in ihrer Stärke als auch in ihrem Mandat zu schwach um eine Friedenslösung erzwingen zu können. Es hängt also vom Willen der Streitparteien selbst ab, ob das Abkommen umgesetzt wird. Während die albanische Seite ihre Forderungen im Friedensplan von Ohrid ausreichend erfüllt sieht, gehen die Zugeständnisse vielen Slawo-Mazedoniern zu weit. Die eigentliche Umsetzung des Rahmenabkommens endet ja nicht mit dem Einsammeln der Waffen der Aufständischen, sondern sie beginnt erst: 45 Tage nach Unterzeichnung sollten die Verfassungsänderungen vom Parlament angenommen sein, noch im Oktober 2001 sollte ein neuer Zensus durchgeführt werden, bis Juli 2002 sollten 500 zusätzliche albanische Polizisten ausgebildet und eingestellt werden, eine repräsentative Quote albanischer Polizeikräfte sollte schließlich bis 2004 erreicht werden. Zeit genug also, das Friedensabkommen zu blockieren oder durch extremistische Aktionen aus der Bahn zu werfen. Dass das nicht passiert, wird vor allem Aufgabe einer neuen EU Außenpolitik sein, denn die USA werden ihre sicherheitspolitischen Prioritäten nach den verheerenden Terroranschlägen im eigenen Land in Zukunft ganz woanders setzen. Bleibt nur die Hoffnung, dass dieses Mal die “Stunde Europas” gekommen ist, denn die Alternative wäre wieder einmal Krieg am Balkan.
Dr. Michael Jandl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien.