TEXTE
Ansprache
von Hans Haider
Das öffentliche Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus
ist in Österreich und in Villach keine Selbstverständlichkeit.
Für viele Menschen stellt die Errinnerung an diese Zeit ein
beträchtliches Problem dar. Das gilt nicht nur für die
Kriegsgeneration, sondern auch für die unmittelbar Nachgeborenen,
zu denen auch ich und viele der hier Anwesenden gehören, denn
wir sind in einer Tradition der Verdrängung aufgewachsen. In
den Familien wurde meistens darüber geschwiegen und in den
Schulen wurde viele Jahre hindurch die Zeit des Nationalsozialismus
ungenügend oder überhaupt nicht behandelt.
Natürlich gibt es gute Gründe, warum es uns so schwer
fällt über die Ereignisse, die zwischen 1938 und 1945
geschehen sind, zu reden:
- Die Tatsache, daß die Mehrheit der Österreicher und
auch der Villacher den Anschluß freudig begrüßten,
auf der Seite der Täter waren und das NS-Regime mehr oder minder
unterstützten. Wir Nachgeborenen sind mit dieser zuwenig diskutierten
Tradition aufgewachsen.
- Die Tatsache das wir auch dem Krieg den Opfern nicht Gerechtigkeit
haben widerfahren lassen beschämt uns und wir wollen lieber
darüber schweigen.
- Die Tatsache, daß es Widerstand gab, daß Menschen
sich bewußt auf die Seite der Opfer gestellt haben, zu Opfern
geworden sind und damit zur Befreiung zum neuen Österreich
einen entscheidenden Beitrag leisteten, der auch in unserer Stadt
viel zu wenig gewürdigt wurde, wollen viele nicht wahrhaben.
Auch bei der Verwirklichung dieses Denkmalprojektes spürten
wir Widerstand und wir mußten einige Hindernisse und Barrieren
überwinden. Ein langjähriger, teilweise kontroversieller,
jedoch für die Denkmalentstehung ein fruchtbarer und für
unsere Gemeinschaft unbedingt notwendiger Diskussionsprozess, war
erforderlich. Deshalb wende ich mich nun an die Jugend und insbesondere
an die Schülerinnen und Schüler des Peraugymnasiums und
ihren Lehrern, die diesen Diskussionsprozess, gemeinsam mit vielen
anderen Persönlichkeiten, entscheidend mitgestaltet haben:
- Ich erinnere dabei an das mobile "Denkmal der Namen",
das die Schüler bauten und das im Mai 1995 LH. Ch. Zernatto
enthüllte und sodann 14 Tage lang auf dem Hauptplatz aufgestellt
war. Dieses Denkmal hat ein großes Echo in der Stadt unter
den Leuten und in den Medien ausgelöst.
- Ich erinnere ferner an die Veranstaltung "Sinti in Villach
- Geächtet, Verfolgt, Ermordet!", die ebenfalls von den
Schülern mitgestaltet wurde. Für diese Veranstaltung stellten
die Schüler eine eindrucksvolle Text-Collage aus Lyrik, Erzählungen,
Märchen und Zaubersprüchen der Sinti und Roma zusammen
und trugen sie vor. Diese Veranstaltung, die an die Deportation
und Ermordung der Villacher Sinti erinnerte, war die erste öffentliche
Veranstaltung in Villach zu diesem Thema. Heute weiß die Villacher
Bevölkerung beinahe nichts mehr über die Sinti, über
ihre Sprache, ihre Geschichte und ihre Ermordung. Wie tiefgehend
die Verdrängung gewisser Ereignisse unserer Stadtgeschichte
ist, erkennt man am deutlichsten daran, daß das Schicksal
der Villacher Sinti 50 Jahre lang mit einem Schweigetabu belegt
war. Es macht betroffen, bedenkt man, daß erst im Juni 1996,
50 Jahre später, dieses Tabu von Schülern und Lehrern
des Peraugymnasiums gemeinsam mit dem Verein 'Erinnern' gebrochen
wurde.
- Ich erinnere an die Ausstellung "Villach zwischen 1938 und
1945" , die die Schüler der 6.D Klasse gestalteten und
im Foyer des Rathauses im März 1998 präsentierten, um
auf die dunkelste Stunde Österreichs hinzuweisen: Den von vielen
Villachern bejubelten Anschluß an das großdeutsche Reich
im März 1938.
- Abschließend weise ich noch auf die Veranstaltung "Wo
ist dein Bruder – Novemberpogrom 1938 in Kärnten"
hin, die der Verein Erinnern und das Peraugymnasium voriges Jahr
im Paracelsussaal durchführten, um an die sogenannte "Kristallnacht"
zu erinnern, als man die Wohnungen unserer jüdischen Mitbürger
in Villach verwüstete, ihre Möbel zertrümmerte
und auf die Straße schmiss, die Juden verhaftete und deportierte
und die Villacher Jugendlichen auf dem Hauptplatz skandierten: "Hoch
hänge der Jude am Laternenpfahl! und Jude verrecke im eigenen
Drecke!"
All diese zahlreichen Veranstaltungen, Veröffentichungen und
Diskussionen über die Greuel und Verbrechen des Nationalsozialismus
in Villach waren für die Errichtung dieses Denkmals nicht nur
eine notwendige Vorraussetzung, sondern sie sind auch ein unverzichtbarer
Teil dieses Denkmals.
Denkmäler als als öffentliche Erinnerungszeichen lassen
zwei Deutungen zu. Einerseits geben sie Auskunft über die Vergangenheit
einer Stadt, andererseits erzählen sie uns aber auch, welche
Einstellung die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt zu
dieser Vergangenheit haben und welches Bild von der Vergangenheit
sie an die nachkommenden Generationen weitergeben. Sie zeigen uns
welche Ereignisse hervorgehoben werden und welche Ereignisse verschwiegen
werden.
Ein Blick auf die verschiedenen Denkmäler in Villach und Umgebung
führen uns ganz deutlich vor Augen: Während es für
die Opfer von Widerstand und Verfolgung kaum Erinnerugszeichen gibt,
wird die Denkmallandschaft durch zahlreiche Kriegerdenkmäler
geprägt, die an die gefallenen Helden des zweiten Weltkrieges
erinnern. Viele Kriegerdenkmäler widersprechen durch die Inschrift
und Gestaltung in der Regel eindeutig und unversöhnlich der
Gründungs- Philosophie der zweiten Republik: Der Befreiung
Österreichs durch die Alliierten und durch den österr.
Widerstand sowie der Besetzung Österreichs durch Deutschland.
Dasselbe gilt meist auch für die inhaltliche Gestaltung der
zahlreichen, von den Kamaradschaftsbünden alljährlich
organisierten Gedenkveranstaltungen. Bei diesen Gedenkveranstaltungen
werden die Gefallenen und Vermißten nicht als Opfer nationalsozialistischer
Kriegspolitik, sondern als Helden, die ihr Leben in treuer Pflichterfüllung
auf dem Altar der Heimat geopfert haben, dargestellt. Diese Form
des Gefallenengedenkens hat sich trotz ihrer offenkundigen Widersprüche
zur offiziellen Sichtweise der NS-Vergangenheit und zur historischen
Wahrheit als vorherrschende Erinnerungskultur durchgesetzt. Sogar
die Legetimität des Widerstandes wird oftmals nachdrücklich
in Frage gestellt und diffamiert.
Damit man mich nicht falsch versteht, möchte ich folgendes
sagen: Das Gedenken an die Gefallenen, Vermißten und Bombenopfer
ist eine Selbstverständlichkeit und gehört zur menschlichen
und politischen Kultur einer Gemeinschaft. Aber erstens sollte uns
- vor allem als Lehrer und auch als Politiker - das Geschichtsbild,
das bei diesen Veranstaltungen vermittelt wird nicht gleichgültig
sein und zweitens gehört auch das Gedenken an die hingerichteten
Widerstandskämpfer, an die hingerichteten Deserteure, an die
ermordeten Villacher Sinti und Juden, an die ermordeten Behinderten
und an die vielen anderen in den Konzentrationslagern Umgekommenen
zur politischen und menschlichen Kultur einer Gemeinschaft.
Dieses Denkmal, das wir heute enthüllen und das von Prof.
Heinz Aichernig gestaltet wurde, ist ein "Denkmal der Namen".
Wir entschieden uns für Namen statt allgemeiner Gedenkformeln.
Einer der ersten Schritte zur Erniedrigung und Entmenschlichung
der Häftlinge bestand in der Vergabe von Nummern, die in den
Unterarm eingraviert wurden. Diese Nummern mußten die Häftlinge
in den ersten Tagen auswendig lernen und, egal welche Muttersprache
sie hatten, in deutscher Sprache auf Anhieb sagen können; sonst
gab es Prügel, Folter oder Totschlag.
Wenn wir also heute auf diesem Mahnmal Namen statt anonymer Gedenkformeln
in Erinnerung rufen, dann ist dies ein wichtiger Schritt zur Widerherstellung
von menschlicher Würde und Identität. Die Nazi-Opfer hatten
ja tatsächlich Namen, hatten ehrbare Namen und ein würdevolles
Leben, bis ihnen beides geraubt wurde.
Auf durchsichtigen Glastafeln sind die Namen der Opfer mit Geburtsjahr
und Sterbejahr eingeätzt. Die ebenfalls eingeätzten Hinweise
"KZ-Dachau, hingerichtet, Euthanasie, deportiert" erlauben
eine eindeutige Zuordnung. Die dahinterliegende Mauer bleibt sichtbar.
Zusammen mit dem Stahlgerüst ergeben die Glastafeln ein Gitterraster,
sodaß Mauer und Gitter-"hinter Gittern, an die Wand stellen",
wie vom Künstler beabsichtigt symbolhaft hervortreten. Es ist
als offenes, lebendiges Denkmal konzipiert, das heißt, es
ist vorgesehen, weitere Tafeln einzufügen, wenn neuere Forschungen
neue Namen zutage fördern. Damit wird der schwierige Prozess
des Erinnerns dokumentiert. Heute, bei der Enthüllung werden
64 Namen aufscheinen, die in einer Broschüre von uns ausführlich
dokumentiert sind. Weitere 60 Namen sollen im Mai 2000 hinzugefügt
werden.
Rede gehalten bei der Enthüllung des Denkmals
der Namen
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