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Ansprache zur 4. Denkmalerweiterung
von
Stephan Jank
Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Gäste aus Slowenien und aus der Friaul!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Jedes Jahr kommen wir um den 26. Oktober am Villacher Denkmal
der Namen zusammen, um jener Opfer zu gedenken, die in der
Zeit von 1938 bis 1945 vom nationalsozialistischen Terrorregime
in dieser Stadt der Willkür, der Gewalt und dem Tod überantwortet
wurden. Seit seinem Bestehen ist es heuer das 4. Mal gelungen,
die Liste jener zu erweitern, denen dieses Terrorregime ihre Würde,
ihren Namen und ihr Leben genommen hat. Dieses Denkmal und alle
Namen, die auf ihm eingraviert sind, geben dieser Stadt ein Stück
Würde zurück und ein Stück Menschlichkeit - zwei
Eigenschaften, die diese Stadt in den Jahren 1938 bis 1945
so gnadenlos vermissen lies. Kein anderes Zitat beschreibt dieses
Denkmal und den Geist, der es beseelt, so präzise und so treffend
wie die folgenden Zeilen des tschechischen Historikers Julius Fučik:
»Ich möchte, dass man weiß, dass es keinen
namenlosen Helden gegeben hat, dass es Menschen waren, die ihren
Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten,
und dass deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht
kleiner war als der Schmerz des ersten, dessen Namen erhalten
bleibt. ich möchte, dass sie euch alle immer nahe bleiben,
wie Bekannte, wie Verwandte, wie Ihr selbst.«
Dieses Zitat weist weit über ein ritualisiertes Gedenken
an Opfer oder Täter hinaus. Es weist den Weg an die furchterregenden
Abgründe der damaligen, aber insbesondere auch unserer
heutigen Gesellschaft. Was nämlich all den Menschen widerfahren
ist, deren Namen auf diesem Denkmal zu lesen sind, liebe Freundinnen
und Freunde, das haben wir ihnen angetan. Und - ich wage die These
- wir werden es wieder tun.
Wie kann es sein, dass ich mich zu dieser Behauptung hinreißen
lasse, wo doch die meisten von uns hier zu jener Zeit, als diese
Menschen ihr Leben ließen, noch nicht einmal geboren waren?
Nun, ich stütze diese These auf die Analyse im 1982 erschienenen
und mittlerweile klassisch gewordenen Essays "Nationalsozialismus
und Antisemitismus" des Chicagoer Historikers und Philosophen
Moishe Postone. Einen der Ausgangspunkte seiner Überlegungen
bildet dort ein Prozess, den wir alle in unserer Gesellschaft täglich
ja stündlich wiederholen, weil wir ihn in dieser Gesellschaft
täglich und stündlich wiederholen müssen. Und daher
entfaltet dieser Prozess seine verheerende Wirkkraft, von der noch
zu sprechen sein wird, an den Wurzeln unserer Gesellschaft.
Es ist dem Wesen nach derselbe Abstraktionsprozess, der den Menschen
dieses Denkmals damals ihren Namen geraubt und sie zu Nummern gemacht
hat. Es ist derselbe Prozess, der die 37jährige alleinerziehende
Mutter im gewerkschaftlich sanktionierten 500-Euro-Prekariat zur
gleichen freien Bürgerin abstrahiert wie den milliardenschweren
Eigner eines Fußballklubs. Und es ist derselbe Prozess, der
den deutschen Sozialdemokraten Franz Müntefehring nur noch
Heuschrecken sehen lässt, wenn er seinen Blick auf die aktuellen
Globalisierungsprozesse richtet.
Was ist das für ein Prozess, der im übrigen auch dafür
verantwortlich ist, das es neben millionenfachem Hungertod auf
diesem Planeten eine schier unermessliche Überproduktion von
Lebensmitteln gibt? Was ist das für ein Prozess, der dafür
sorgt, dass die Menschen an ihren immer prekärer werdenden
Arbeitsplätzen den obszönsten Reichtum mitproduzieren,
an dem sie selbst aber immer seltener Anteil haben?
Werfen wir dazu einen Blick auf die angesprochenen Wurzeln unserer
Gesellschaft. Dort finden wir unseren kategorischen Imperativ:
Produziere ununterbrochen und immerwährend um deine Produkte
als Waren oder Dienstleistungen danach am Markt zu tauschen! Sollte
dir auch nur eines von beiden nicht gelingen, dann hast du an dieser
Gesellschaft keine wirkliche Teilhabe. Dieses imperative Prinzip
ist so fundamental für unsere Art der Vergesellschaftung -
namentlich natürlich der kapitalistischen -, dass uns nichts
unverdächtiger, reiner, makelloser ja jungfräulicher
erscheint, als eben diese Produktion von Waren und deren fairer
Tausch am Markt. Es ist übrigens auch diese, von uns empfundene
gesellschaftliche Unbeflecktheit und Makellosigkeit der Warenproduktion,
die uns immer und überall unsere Hände in jener unerträglichen
Unschuld waschen lässt, vor der schon Heiner Müller nur
noch Ekel empfinden konnte.
Dieses, so unverdächtig erscheinende Prinzip nämlich,
ist mit einem sehr hohen Preis erkauft. Wenn nämlich die Arbeit
und deren Produkt nur durch ihren unabdinglichen Tausch am Markt
als einzige Möglichkeit für den Einzelnen gesetzt ist
um am gesellschaftlichen Reichtum Anteil zu erhalten, dann müssen
konsequenterweise die Arbeit und all ihre Produkte - die Waren
- etwas gemein haben, also etwas ALLGEMEINES haben, was sie untereinander
austauschbar macht.
Was ist es nun, was vom 3-Liter-Auto bleibt, wenn man all das
abzieht, was es vom Bio-Joghurt unterscheidet und es dann - in
genügender Anzahl - mit diesem austauschbar macht? Was
bleibt, wenn man die Reifen, die Karosserie, den Motor, etc ..
einem solchen Auto wegnimmt, oder um es lateinisch zu sagen: von
ihm abstrahiert? Es ist - natürlich - sein WERT. Es ist dasselbe,
was vom Bio-Joghurt bleibt, wenn man seine Verpackung und den Inhalt
wegnimmt oder von ihm abstrahiert. Was bleibt ist sein WERT. Dieser
ist also - seiner Konstruktion nach - ABSTRAKT, weil er erst dann
erkennbar ist, nachdem alles, was wir an der Arbeit und ihren Produkten
sehen, hören oder fühlen können, abgezogen ist.
Wir haben also gesehen, dass der ABSTRAKTE WERT, der alle Waren
untereinander austauschbar macht, und damit die Grundlage für
den Einzelnen darstellt, sich gesellschaftlich zu vermitteln, allen
Waren gemein und damit in ihnen präkonfiguriert ist. Dieser
abstrakte Wert ist es, der uns als Geld erscheint und in seiner
entwickelten Form als Finanztransaktion auf internationalen Kapitalmärkten.
Was macht nun letztere so bedrohlich, so dunkel und so insektoid,
dass wir auf diese Fratze immer das ANDERE, das Böse projizieren
müssen, um uns selbst zu ertragen? Wie ist es möglich,
dass wir das böse, das raffende Finanzkapital immer nur antinomisch
zum reinen und guten, zum schaffenden Industriekapital wahrnehmen
können, wie es ja schon die frühe NAZI-Propaganda getan
hat?
Nun! Weil unsere Produktion ausschließlich in voneinander
isolierten Betriebswirtschaften also gerade NICHT GESELLSCHAFTLICH
sondern ganz im Gegenteil REIN PRIVAT organisiert ist, muss uns
geradezu die Tatsache verborgen bleiben, dass wir durch unsere
Arbeit und die daraus entstehenden Produkte in vielfältigste
und hochkomplexe gesellschaftliche Beziehungen zueinander treten.
Oder anders gesagt: Dass etwa das jungfräuliche, gewalzte
Blech einmal zu einer Landmine wird und einmal zu einem Kochtopf,
das kann den Mitarbeiter der VA-Tech schlicht und ergreifend nicht
kümmern. Die Art und Weise also, wie wir produzieren, verschleiert
die Tatsache perfekt, dass wir GESELLSCHAFTLICH produzieren.
Die gesellschaftliche Dimension unseres produktiven Tuns verabschiedet
sich gewissermaßen aus unseren Produktions- und Administrationsstätten
und erscheint nicht mehr als Produkt unserer Arbeit. Damit aber
verabschiedet sich auch ihr Träger, der ABSTRAKTE WERT, von
unseren Produkten und unserer Arbeit. Der von uns produzierte abstrakte
Wert wird uns äußerlich. Er, und der immanente Zwang
zu seiner ewigen Vermehrung treten uns objektiv entgegen. Einmal
mechanistisch interpretiert als Naturgesetz, einmal sozialdarwinistisch
interpretiert als gesellschaftlicher Selektionsmechanismus oder ökonomistisch
interpretiert als Grundlage der Angebot-Nachfrage-Halluzination
der Neoklassik und des Neoliberalismus. Aber immer läuft es
auf dasselbe hinaus: "There is no alternative!!"
Diese scheinbare Naturphänomenalität ist die eine Seite
des abstrakten Wertes. Die andere Seite ist seine offensichtliche
Zwecklosigkeit im Hinblick auf die Befriedigung menschlicher
Bedürfnisse. Oder anders gesagt: Geld kann man nicht essen.
Der abstrakte Wert also, dem kein Molekül und kein Atom anhaftet,
kann daher seinen Zweck nur in sich selbst suchen und wird sich
damit zum Selbstzweck. Nun erscheint er - wie gesagt - ausschließlich
in der nach oben unbeschränkten linearen Ordnung der Geldform.
Was bleibt IHM, der nichts als sich selbst zum Zweck haben kann,
als von uns seine immerwährende Vermehrung zu fordern. Und
in der Tat: wie die Priester der Mayas und Azteken bringen wir
ihm jedes Opfer, das er von uns verlangt. Die reine, konkrete Ware
ist dabei unser Fetisch. Der dunkle, abstrakte Wert aber wird zu
unserem unerbittlichen Gott.
Und so kommt es, wie es kommen muss. Wir können unsere Gesellschaft
nur als Widerspruch zwischen KONKRETEM und ABSTRAKTEM wahrnehmen.
Unser tägliches Tun scheint uns dabei rein, jungfräulich
und makellos, es erscheint uns konkret als 3-Liter-Auto und als
Bio-Joghurt. Unser gesellschaftlicher Imperativ aber - der von
uns mitproduzierte aber abstrahierte Wert sowie der Zwang zu seiner
immerwährenden Vermehrung - tritt uns als abstrakte, unbeeinflussbare
Gesetzmäßigkeit entgegen - verantwortlich für alles
Leid, das wir erfahren, aber weder spürbar, hörbar oder
sichtbar. Und so muss uns dieser Wert bedrohlich erscheinen, muss
uns als dunkle Macht erscheinen oder als insektoide Fratze.
Dabei ist er nichts anderes als unser eigenes gesellschaftliches
Spiegelbild. Denn die dahinter stehende Abstraktion leisten wir
täglich selbst. Und deshalb müssen die Anderen her, um
dieses unerträgliche Spiegelbild zu überdecken. Die Juden,
die Sinti und die Roma, die Schwulen und die Ausländer, die
Sozialschmarotzer, die Vorstände in den transnationalen Großkonzernen
oder die Menschen an der Ostküste.
Der Drang zur Zerstörung dieses Spiegelbildes in Form der
darauf projizierten Menschen steht wie ein Menetekel auf den Wänden
unserer so verfassten Gesellschaft. Wenn eine kapitalistische Krise
nur genügend Leidensdruck auf die Menschen ausübt, dann
wird wieder die Ausrottung und die Vernichtung des Abstrakten auf
der Agenda stehen.
Vielleicht ist es ja das, was uns ein kleines Villacher Denkmal
sagen will, auf dem ein paar Namen stehen.
Anpsprache gehalten von Stephan Jank am 26. Oktober 2006 anläßlich
der 4. Denkmalerweiterung
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