Erinnern an die Opfer der Nationalsozialistischen Gewalt, Villach / Kärnten


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TEXTE

Aus dem Gedächtnis in die Erinnerung holen:
Abschied von Hedwig Linker, Leon Linker und Eva Linker.
Lesung vorgetragen von der Evangelischen Jugend

Sprecher A

Hedwig Linker ist im Jahre 1917 geboren. Sie war die Tochter der jüdischen Kaufmannsfamilie CZUCZKA aus Spittal an der Drau, wo sie ihre Kindheit, ihre Schulzeit und ihre Jugendzeit verbrachte. Mit 20 Jahren, im Jahre 1937, heiratete sie Leon Linker aus Klagenfurt und noch im selben Jahr kam ihre Tochter Eva zur Welt. Das jungvermählte Paar bezog eine Wohnung in Klagenfurt in der Gabelsbergerstraße. Ein Jahr nach ihrer Hochzeit, im März 1938, wurde Österreich, an Nazi-Deutschland angeschlossen. Schon in den ersten Tagen nach dem Anschluss brach über die österreichischen Juden eine unglaubliche Welle der Gewalt herein. Jüdinnen und Juden wurden gedemütigt, verspottet, geschlagen, verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Einen dramatischen Höhepunkt erreichte dieser Prozess im November 1938. Im ganzen deutschen Reich wurden, von den Nationalsozialisten organisiert, Pogrome veranstaltet. Die gesamte jüdische Bevölkerung wurde einem beispiellosen Terror ausgesetzt. Die Geschäfte und Wohnungen der Jüdinnen und Juden wurden verwüstet und geplündert.

Sprecher B

Anton Engelhart ging damals in Villach in die zweite Klasse Hauptschule: Er erinnert sich:

An jenem Tag haben wir Nachmittagunterricht gehabt. Als wir in die Schule gekommen sind hat der Schulwart zu uns gesagt:“ Heut ist kein Unterricht, heute ist Judenverfolgung.“ Wir sind also gleich in die Stadt gegangen. Beim Fischbach in der Italienerstraße haben wir zugeschaut wie die Sachen aus dem Fenster im 1. Stock herausgeflogen sind. Alles wurde auf die Straße hinuntergeschmissen: Bücher, Geschirr, Silberbesteck, Bettwäsche und Lebensmittel. Was nicht durch das Fenster gepasst hat, ist zuerst zertrümmert worden. Dann bin ich weitergegangen. Auch am oberen Kirchenplatz beim Glesinger sind die Sachen auf der Straße gelegen. Neben der Buchhandlung Pfanzelt war ein kleines Geschäft. Dort wurde eine Frau herausgeschliffen und zur Gestapo hinuntergeführt. Warum das weiß ich bis heute nicht. Der Hauptplatz war voller Menschen. Ein unglaublicher Tumult. Auf dem Sockel der „Pestsäule“ sind Jugendliche gestanden, die immer wieder geschrieen haben: „Hoch hänge der Jude am Laternenpfahl.“ und „Jude verrecke im eigenen Drecke“. Daran kann ich mich ganz genau erinnern

Sprecher A

Für Hedwig und Leon Linker wurde die Situation in Kärnten immer unerträglicher. So fassten sie den Entschluss, mit ihrer Tochter Eva, aus Österreich zu emigrieren, um sich eine neue Heimat zu suchen. Mit den wenigen Habseligkeiten, die sie mitnehmen konnten, begaben sie sich vorerst nach Wien, um von dort aus die Flucht zu organisieren. Ende 1939 gelang es ihnen endlich, sich einem Transport auf einem Donauschiff anzuschließen. Im November 1939 verließ der Transport, mit rund 1200 Flüchtlingen an Bord, den Donauhafen in Bratislava. Das Fluchtziel war Palästina. Das britische Mandatsgebiet Palästina war zu dieser Zeit, als die meisten Länder keine jüdischen Flüchtlinge mehr aufnahmen, eines der letzten verbliebenen Fluchtziele. Doch die Reise auf den jugoslawischen Schiffen endete wenig später, im Dezember 1939 in der Ortschaft Kladovo, einem kleinen Donauhafen im Dreiländereck zwischen Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien. In diesem kleinen Ort, der 54 Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation entfernt und im Winter praktisch abgeschlossen war, sollten die Flüchtlinge die Eisschmelze abwarten. Aus dem kurzem Aufenthalt wurden Monate des bangen Wartens und der Unsicherheit.

Sprecher C

Zeitzeugen berichten:

Auf den Schiffen herrschten unerträgliche Zustände: räumliche Beengtheit, Schmutz und klirrende Kälte. Erst nach einigen Wochen erhielten die Flüchtlinge die Erlaubnis zu zeitlich begrenzten Aufenthalten am Ufer. Nach weiteren Wochen drängte die Schifffahrtsgesellschaft auf die Räumung der drei Dampfer und die Flüchtlinge übersiedelten an Land – teilweise im Ort, teilweise in Baracken und teilweise in einem Zeltlager am Ufer. Im Zeltlager und im Barackenlager, die sich in der Nähe großer Sümpfe befanden, grassierte bald die Malaria, und wegen der unzureichenden Ernährung, dem Schmutz und dem Ungeziefer breiteten sich Krätze und Furunkulose aus. Vereinzelt traten auch Fälle von Kinderlähmung, Rotlauf und Typhus auf.

Sprecher A

Erst im September 1940 konnte die Flüchtlingsgruppe die Ortschaft Kladovo endlich verlassen. Zum Entsetzen der Flüchtlinge führte die Reise jedoch nicht wie erwartet Richtung Donaudelta, sondern stromaufwärts in das kleine serbische Städtchen Sabac nahe Belgrad. In Sabac durften sich die Flüchtlinge mit bestimmten Beschränkungen frei in der Stadt bewegen. Die Menschen genossen die größere Bewegungsfreiheit. Obwohl offiziell verboten, suchten viele nach Beschäftigungsmöglichkeiten bei der ortsansässigen Bevölkerung, um sich etwas Taschengeld verdienen zu können. Trotz dieser Erleichterung lebten die Flüchtlinge weiterhin auf Abruf. Auch der Aufenthalt in Sabac war bestimmt von Unsicherheit und bangem Warten.

Im April 1941 marschierte die deutsche Wehrmacht in Jugoslawien ein. Nach wenigen Wochen kapitulierten Griechenland und Jugoslawien. Nun saßen die Flüchtlinge, eineinhalb Jahre nach der Abfahrt von Bratislava in der Falle. Die deutsche Wehrmacht, die sich zunächst auf eine ruhige Besatzungsherrschaft am Balkan einrichtete, war bald in einen verlustreichen Partisanenkampf verwickelt. Hitler erteilte den Auftrag, die Ordnung auf schnellstem Wege wiederherzustellen. Zum führenden General wurde der Österreicher Franz Böhme ernannt.. In dieser Situation ließ General Böhme sogenannte Sühnemaßnahmen durchführen: Für jeden verwundeten deutschen Soldaten mussten 50 und für jeden gefallenen deutschen Soldaten 100 Zivilisten erschossen werden. Im Oktober 1941 wurden alle Männer des Transports bei einer derartigen Sühneaktion von einer Einheit der deutschen Wehrmacht erschossen. Darunter befand sich auch der damals 34-jährige Leon Linker aus Klagenfurt.

Sprecher D

Bericht von Oberleutnant Walther vom Infanterieregiment 734 über die Erschießung von Juden und Zigeunern am 27. Oktober 1941

Nach Vereinbarung mit der Dienststelle der SS holte ich die ausgesuchten Juden bzw. Zigeuner vom Gefangenenlager ab. Der Platz an dem die Erschießung vollzogen wurde, ist sehr günstig. Er liegt unmittelbar an der Straße, an der sich eine Böschung befindet, die so hoch ist, dass ein Mann nur mit Mühe hinauf kann. Dahinter ist ein Fluss. Ein Entkommen der Gefangenen ist daher mit wenig Mannschaft zu verhindern. Nach der Ankunft – etwa zwei Kilometer vor dem ausgesuchten Platz – stiegen die Gefangenen aus und erreichten diesen im Fußmarsch. Die LKWs mit den Zivilfahrern wurden sofort zurückgeschickt, um ihnen möglichst keine Anhaltspunkte zu einem Verdacht zu geben. Dann ließ ich die Straße für sämtlichen Verkehr sperren.

Die Richtstätte wurde durch 12 Schützen gesichert:

  1. Gegen Fluchtversuche der Gefangenen.
  2. Zum Selbstschutz gegen etwaige Überfälle von serbischen Banditen.

Das Ausheben der Gruben nimmt den größten Teil der Zeit in Anspruch, während das Erschießen selbst sehr schnell geht. 100 Mann in 40 Minuten. Das Erschießen der Juden ist einfacher als das der Zigeuner. Man muss zugeben, dass die Juden sehr gefasst in den Tod gehen, während die Zigeuner heulen, schreien und sich dauernd bewegen, wenn sie schon auf dem Erschießungsplatz stehen. Einige sprangen sogar vor der Salve in die Grube und versuchten sich tot zu stellen.

Anfangs waren meine Soldaten nicht beeindruckt. Am zweiten Tag jedoch machte sich schon bemerkbar, dass der eine oder andere nicht die Nerven besitzt, auf längere Zeit Erschießungen durchzuführen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass man während der Erschießung keine seelischen Hemmungen bekommt. Diese stellen sich jedoch ein, wenn man nach Tagen abends in Ruhe darüber nachdenkt.

Sprecher A

Bald darauf wurde Hedwig Linker, mit ihrer nunmehr fünfjährigen Tochter Eva, sowie auch alle anderen Frauen und Kinder dieses Transportes, deren Männer, Brüder und Väter zuvor erschossen worden waren, in das damals neu gegründete Konzentrationslager Sajmiste, einem Vorort von Belgrad, überstellt. Der Kommandant dieses Konzentrationslagers war der Österreicher Herbert Andorfer. Im März 1942, sind auf Wunsch von Herbert Andorfer, zwei Spezialfahrzeuge aus Berlin eingetroffen, in welchen die Frauen und Kinder vergast wurden. Vom März bis Mai 1942 mussten jeden Tag 50 bis 60 Menschen in diese LKWs einsteigen. Auf der Fahrt durch Belgrad zum Zielort Avale wurde Gas eingeleitet. In Avale hatte ein Häftlingskommando bereits die Gruben für die Ermordeten ausgehoben. Zum Ende der Aktion im Mai 1942 waren die rund 7500 Jüdinnen und Juden aus dem Konzentrationslager Sajmiste vergast. Darunter befand sich auch die damals 25-jährige Hedwig Linker aus Spittal an der Drau mit ihrer fünfjährigen Tochter Eva.

Quelle: August Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich, Universitätsverlag Carinthia, S. 225. Zentrale Datenbank der Holocaustopfer in Yad Vashem. Aussage von Erika Weissmann, Schwester von Hedwig Linker, Israel, Yad Shalom 9, Ramat Gan. Walter Manoschek, Die Wehrmacht im Rassenkrieg, Picus Verlag, ISBN 3-85452-295-9, S. 147 – 167.

Gedenkbuch der Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz Birkenau, ISBN 3-598-11162-2, S. 1567. Archiv Verein Erinnern, Briefe von Hedwig und Leon Linker aus Sabac und Kladovo an eine Freundin. Hans Haider, Nationalsozialismus in Villach, Edition kärnöl.

Lesung vorgetragen von der Evangelischen Jugend am 7. November 2008.

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