Erinnern an die Opfer der Nationalsozialistischen Gewalt, Villach / Kärnten


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Denkmal der Namen und anlässlich des Gedenkens an das Novemberpogrom 1938
von Lisa Rettl

Werte Gedenkende, liebe Freundinnen und Freunde,

Drage prijatelijce dragi prijatelji, lep pozdrav nam vsem ki se tukaj spominjamo pogroma novembra 1938.

Seit einigen Jahren nun treffen wir uns schon, um der Opfer des Novemberpogroms 1938 zu gedenken, der Kristallnacht, wie es die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten zynisch nannten.
Wir treffen uns hier, um uns die Geschichte jenseits heldenmütiger Krieger für Deutschtum und Heimat ins Bewusstsein zu rufen und um die Mechanismen zu begreifen, die die Gewaltherrschaft und die allgemeine Gewaltbereitschaft unter der Bevölkerung erst ermöglicht haben. Wir versuchen zu ergründen, wie es möglich war, dass unsere eigenen Eltern und Großeltern als TäterInnen und ZuschauerInnen oft nur allzu bereitwillig Leute der Nachbarschaft durch Denunziation der Ermordung preisgaben, sich häufig selbst an den gewaltsamen Aktionen gegen ihre unmittelbaren Mitmenschen beteiligt hatten, warum sie sich durch das bis heute andauernde Schweigen mitschuldig und zu KomplizInnen des NS-Regimes gemacht haben, und wie sie sich am Leid direkt oder indirekt in materieller Hinsicht bereichert haben. Nicht zufällig sprach Reichskommissar Bürckel gerade im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom in einem Brief an Göring als dem "Tag und Nacht der langen Finger".

Zum anderen versuchen wir im gemeinsamen Gedenken, das unfassbare Ausmaß der Gewalt fassbar zu machen, einer Gewalt, die so viele Opfer unter der Generation unserer Eltern und Großeltern forderten - seien sie nun Jüdinnen und Juden gewesen, Sintezzas und Sinti, Partisaninnen und Partisanen, homosexuelle Frauen und Männer, Zeuginnen und Zeugen Jehovas, Menschen mit einer Behinderung oder einfach Menschen, die sie selbst sein wollten, wie Irma Trgsak es kürzlich bei der Eröffnung der Ausstellung Wege nach Ravensbrück formuliert hat.
Diese Gewalt mit all ihren Mechanismen gilt es zu fassen, - die unzähligen Ermordungen, und Gewalttätigkeiten von einst, die Ignoranz der Nachkriegszeit, die seelischen Verkrüppelungen in unseren Familien, die bis in die heutige Enkelgeneration ihre Wunden reißen, das Schweigen und Tabuisieren, das Leugnen, Schönfärben- und Reden. All das ist Teil eines Gewaltmechanismus, den wir aufzubrechen müssen, auf rationaler wie auch auf emotionaler Ebene. Das tun wir nicht zuletzt in der Hoffnung, aus den Erkenntnissen der Geschichte, insbesonders auch der eigenen, lokalen Geschichte, eine Lehre zu ziehen- mit dem Ziel, unsere demokratischen Verhältnisse und Strukturen verstärkt schätzen zu lernen, selbst offener, toleranter und sozialer zu sein.

Es geht jedoch nicht nur darum, die Demokratie schätzen zu können, sondern auch - und vor allem - um sie schützen zu können. Das Sprichwort Wehret den Anfängen kommt in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr und mahnt, wachsam zu sein und politische Entwicklungen in Richtung totalitärer Strukturen, die immer in der Sprache ihren Anfang nehmen, kritisch zu hinterfragen und, wenn notwendig, entsprechend widerständige Maßnahmen zu ergreifen.
Das Novemberpogrom von 1938 stellte in diesem Sinn keinen Anfang mehr dar, die Gewaltmechanismen waren schon in vollem Gange, das Novemberpogrom bedeutete daher lediglich eine Verschärfung der Gangart, die Legalisierung weiterer Maßnahmen gegen Jüdinnen und Juden als der größten Opfergruppe, wobei sich diese Gewalt auch gegen die vielen anderen Personengruppen richtete, die aufgrund ihrer religiösen, ethnischen oder politischen Natur von den Nazis als verfolgungswert betrachtet wurden.

Das Attentat vom 7. November in Paris auf den deutschen Botschaftssekretär Ernst von Rath durch den 17-jährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan bot dabei lediglich einen willkommenen Anlass zur Legitimierung und Durchführung der bereits lange vorher geplanten Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus dem Wirtschafts - und dem Kulturleben, bzw. jüdischen Lebens selbst.
Die Nachricht vom Ableben von Raths fiel gerade mit einem der wichtigsten nationalsozialistischen Gedenktage zusammen, dem 9. November, einer reichsweiten Kameradschaftsfeier zu Ehren der sogenannten Blutszeugen, der Toten des 9. November 1923, denen Hitler auch den ersten Band seines Buches "Mein Kampf" widmete.
"Nazi-Politgrößen", darunter z.B. auch der Wahlkärntner Odilo Globocnik, begingen diesen Feiertag traditionsgemäß in München, gemeinsam mit Hitler in der Feldherrenhalle. Von dort aus ergingen auch an diesem 9. Nov. die Befehle in die verschiedenen Gaue, Befehle zu "Aktionen demonstrativer Art" bei gleichzeitigem, striktem Uniformverbot während der Aktionen.
Noch in derselben Nacht von 9. auf 10. November begannen die Massenverhaftungen, Gewalt- und Misshandlungsaktionen an den jüdischen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern im ganzen deutschen Reich - und in besonderer Intensität auch auf heute österreichischem Gebiet. Die NS Zeitung der "Kärntner Grenzruf" berichtet über die Ereignisse des 10. Novembers in Villach unter der Überschrift "Eine spontane antisemitische Volkskundgebung" folgendes:
"In der mittägigen Freizeit sammelten sich tausende und aber tausende Volksgenossen auf dem Adolf-Hitler-Platz und gaben durch Sprechchöre ihrem Abscheu vor dem jüdischen Meuchelmord Ausdruck. Die Empörung unter den Villacher Volksgenossen war so groß, daß sie sich nach der Kundgebung in antijüdische Aktionen Luft machte."
Wie sich diese antijüdischen Aktionen in Villach gestalteten, ist mittlerweile hinlänglich, nicht zuletzt dank der Forschungen von Andrea Lauritsch, bekannt: Wohnungen demoliert, Möbel, Bilder, Geschirr aus den Fenstern geschmissen, Schmuck und Geld geraubt, die Menschen gedemütigt und misshandelt.
Auch wenn wir heute wissen, dass es sich nicht um eine spontane Volkserhebung gehandelt hat, wie die NationalsozialistInnen immer wieder betonten, sondern um eine organisiertes, planmäßiges Pogrom, an dem verschieden NS-Institutionen von der SA bis zur HJ beteiligt waren, so wissen wir auch, dass sich zahlreiche BewohnerInnen der Stadt den Plünderungen angeschlossen haben oder zumindest in der ZuschauerInnen-Rolle mehr oder weniger schadenfroh die Demütigungen gebilligt haben.

In derselben Ausgabe des schon zuvor zitierten "Kärntner Grenzruf" vom 11. Oktober lesen wir auf der Titelseite auch von der Aufforderung des Reichsministers Goebbels an die Bevölkerung, die Vergeltungsmaßnahmen unbedingt einzustellen. Und zwar deswegen, weil "Die endgültige Antwort auf das jüdische Attentat in Paris wird auf dem Wege der Gesetzgebung bzw. der Verordnung dem Judentum erteilt werden."
Eine dergestaltige Gesetzgebung war schon längst in Vorbereitung. Schon am 12. Nov. in einer Sitzung unter Görings Vorsitz wurde beispielsweise die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" beschlossen, am selben Tag wie auch die Ausstellung "Der ewige Jude" in Berlin eröffnet wurde, nachdem sie zuvor schon in München und Wien gezeigt wurde. 2 Tage später berichtet wiederum der "Kärntner Grenzruf", dass kein Jude mehr in deutschen Theatern und Kinos zugelassen sei und am 16. Nov. unter der Schlagzeile "Die Welt will keine Juden" wird der Kärntner Öffentlichkeit mitgeteilt, dass bereits weitere Konzentrationslager errichtet werden.

Der Phantasie zur Ausrottung der nicht-arischen Menschen war zu diesem Zeitpunkt unter Mitwissen und Mittun der ansässigen, lokalen Bevölkerung also keine Grenzen mehr gesetzt und heute stehen wir hier vor dem Denkmal der Namen, das - mit der heutigen Erweiterung - insgesamt 104 Namen trägt.
104 Namen von Menschen - Frauen, Männern und Kindern, gegen die sich die nazistische Phantasie richtete. Menschen, die der Brutalität der Nazis und der Gleichgültigkeit der sogenannten Mitläuferinnen und Mitläufer zum Opfer fielen. 104 Villacherinnen und Villacher, deren Schicksale und Biographien so unglaublich unterschiedlich und individuell anders sind, sodass die meisten dieser Menschen einander im realen Leben wahrscheinlich nicht einmal gekannt hätten. Dennoch teilen sie heute miteinander einen Platz auf diesem Denkmal, das an ihre traurige Gemeinsamkeit erinnert: sie alle wurden von Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten denunziert, deportiert, auf unsägliche Weise gequält und bestialisch ermordet. Sie wurden ihrer menschlichen Würde entblößt, von anderen Menschen ihrer Namen beraubt und sollten auf diese Weise, wie Himmler es sich einmal gewünscht hatte, einen doppelten Tod sterben: Den physischen Tod und den Tod durch Vergessen. Niemand sollte sich später der ermordeten Menschen erinnern; sie sollten für immer aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden, ihre Namen und Schicksale nirgendwo eingeschrieben werden.
Niemand sollte sich mehr des großangelegten Mordens erinnern, niemand erinnern des Tötens im Kleinen und Geheimen, des Terrorisierens und Schikanierens, an und hinter der Front, der sogenannten Heimat.
Dank der Überlebenden und ihrer schmerzvollen Bemühungen ist es jedoch nicht geglückt, die Erinnerung zu tilgen, für immer auszulöschen. Viele von Euch Überlebenden haben Zeugnis abgelegt und spät, viel zu spät eigentlich, haben wir Euch zugehört. Viel zu spät haben wir, die zweite und dritte Generation, begonnen, Euch Fragen zu stellen und Eure Antworten aufzuschreiben. Langsam und in mühevoller Kleinarbeit fügen sich nun schrittweise Teile der geschichtlichen Rekonstruktion und Forschung verschiedener Disziplinen ineinander. Vieles von der sogenannten "dunklen Zeit" wird dunkel bleiben - dafür wurde und wird ausreichend gesorgt.

Indes in Österreich - und hier nimmt Kärnten/Koroška eine fragwürdige und beklagenswerte Vorreiterrolle ein - werden die politischen Stimmen immer lauter und polternder, die im Zusammenhang mit dem Holocaust ein Vergessen, einen endgültigen Schlussstrich fordern. Stimmen, die von den Opfern keck und frech ein endgültiges Vergessen einfordern, das die Erinnerung der Täter und Täterinnen für immer von dem vielen Blut entlasten soll, und seine kathartische Wirkung für all jene entfalten sollte, die nie etwas gesehen, gehört oder gewusst haben wollen. Ein Vergessen, das wieder den bequemen Mantel des Schweigens über die sogenannte "dunkle Zeit" ausbreiten soll. Ein Vergessen, das, wie es scheint, jenen nützen soll, die diverse Wehrmachtsverbände und SS-Einheiten als Friedenskämpfer- und -bringer zu inszenieren versuchen, wie es beispielsweise alljährlich am Ulrichsberg unter großer politischer Beteiligung mit ebenso großem finanziellem Aufwand geschieht.
Vergessen, so behauptete beispielsweise der Philosoph Rudolf Burger als eloquenter Vertreter dieser Auffassung, - vergessen wäre seitens der Opfer nicht nur "ein Gebot der Klugheit, sondern auch ein Akt der Redlichkeit;" Ja, er meint sogar "eine Geste der Pietät"
Und Trauer als echtes Gefühl wäre nach einem halben Jahrhundert nicht mehr möglich, sei nichts Anderes als eine moralische Ausbeutung der Toten, meint der Philosoph -und irrt.
Denn Trauer ist vielgestaltig und hängt, wie Freud erkannt hat, eng mit dem notwenigen Prozess des Bewältigens von Vergangenheit zusammen. In seinem Verständnis bedeutete "bewältigen" ein Erinnern, ein Durcharbeiten und Wiederholen im Sinne von Vergegenwärtigen um zu verstehen, es ist, so, so haben es später die Mitscherlichs bezeichnt "eine Folge von Erkenntnisschritten".
Natürlich, müssen wir, gerade im Zusammenhang mit der Shoa, zwischen privater und öffentlicher Trauer, wie es z.B. bei Gedenkveranstaltungen oft angesprochen wird, unterscheiden, eine Unterscheidung, die Burger leider verabsäumte zu treffen.
Bei Freud, auf den er sich bezieht, ging es hauptsächlich um die private Trauer, meistens hervorgerufen durch den unwiederbringlichen Tod eines geliebten Menschen. Die Trauer, die Freud meinte, bezeichnete immer ein Subjekt, zu dem man selbst und persönlich in einer Beziehung stand. Dieses muss natürlich in Bezug auf den Holocaust, angesichts der vielen namenlosen Opfer, deren Identität uns im Einzelnen unbekannt ist, relativiert werden.
Burger hat aber übersehen, dass es hier ja nicht nur um den Tod an sich geht, der Trauer auslösen kann- Tod kann ja als Teil des Lebens akzeptiert werden, was den Trauerprozess erleichtert. Aber es geht in diesem Falle nicht nur um Tod , sondern um die Tatsache des gewaltsamen Todes, des Mordes und in diesem Zusammenhang um eine millionenfache Opferwerdung alleine aufgrund eines ethnischen, religiösen, sozialen und politischen Status.
Es geht also, neben der persönlichen Trauer der Überlebenden, auch um die Trauer um den Verlust von Menschlichkeit im Menschen und von Menschen. Diese Art der Trauer hat kein Ablaufdatum.
Wenn es aber um die nicht-individuelle Trauer in Bezug auf den Holocaust geht, sprechen Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen oft von "kollektiver Trauer" oder von "historischer Trauer".
Diese historische Trauer hat - im Gegensatz zur individuellen Trauer - eine eigene Charakteristik. Das wichtigste daran ist eine kritische Selbstreflexion, die auf verschiedenen Ebenen angesetzt sein soll.
Der deutsche Historiker Jan-Holger Kirsch nennt drei Ebenen, auf der sich diese historische Trauer vollziehen kann, bzw. soll - es soll ein Balance zwischen der ästhetischen, kognitiven und politischen Ebene sein.

1.) Die historische Trauer bedarf der Ästhetik - also der Kunst, die die Grenzen des Sagbaren mit nonverbalen Mitteln erweitert, wobei es nicht um eine Ästhetisierung, sondern um kritische Auseinandersetzung geht.
2.) Die historische Trauer bedarf kognitiver Strategien, z.B. die Geschichtswissenschaft, die das Ausmaß und den Verlauf der NS-Verbrechen differenziert erforscht.
3.) Die historische Trauer bedarf politischer Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven, die darauf abzielen, eine Wiederholung zu verhindern.
Alle drei Ebenen gehören zusammen und müssen sich ergänzen. Gemeinsam ist diesen drei Punkten, dass dahinter eine kritische Auseinandersetzung, ein Sich- Erinnern- Wollen, steht.

Darum sind wir hier.
Und, um den überlebenden Frauen und Männern des Naziterrors, zu sagen, dass wir, viele von der jüngeren Generation, bereit und offen sind, Eurer Zeugnis anzunehmen und für Euer Vermächtnis Niemals Wieder / Nicoli Vec weiterzukämpfen.

Danke. Hvala lepa.

Ansprache gehalten bei der Denkmalerweiterung am 8. Nov. 2001 in Villach

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