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"Der Raub des Namens und der Tod des
Menschen"
von Univ.-Prof. Dr. Peter Gstettner
Das 'Denkmal der Namen' ist ein in Kärnten einzigartiges Projekt,
das die aktive Unterstützung und die Dankbarkeit des Landes
verdienen würde, gerade eines Landes, das ständig um seine
Identität ringt, das sich gerade jetzt wieder seiner Identität
versichern muß durch den Rückgriff auf den antislawischen
"Abwehrkampf" vor 80 Jahren.
Die Denkmalgründer und
-stifter übernahmen die historische Bürde, dieser Stadt
und diesem Land über ein Mahnmal der Erinnerung eine etwas
andere Identität einzuprägen. Erinnert werden soll, daß
der Widerstand in der NS-Zeit, das Leid der Opfer und die Tragik
des Verlustes weder spurlos im Reich des Vergessens noch in dem
eines nebulosen Geschichtsmythos versinken dürfen.
Das 'Denkmal der Namen' ist ein unabgeschlossenes Projekt der Re-Personalisierung
der untergegangenen, verschwundenen und "vergessenen"
Mitmenschen, Nachbarn und Mitbürger - untergegangen und verschwunden
in der Mordmaschine des NS-Terrors, die auch deshalb so reibungslos
funktionierte, weil sie vom Wegschauen, Tolerieren und Unterstützen
durch zahlreiche heimische Hilfskräfte und Akteure in Schwung
gehalten wurde. Fast ebenso reibungslos funktionierte später
dann der Mechanismus des Vergessens und Verdrängens nach 1945.
Das 'Denkmal der Namen' bringt zweierlei in Erinnerung: (1) Es
erinnert an eine Zeit der Unmenschlichkeit und mahnt die Mitmenschlichkeit
ein; (2) Es erinnert an unser Vergessen, das auch ein Vergessen
der menschlichen Pflicht ist, für den Mitmenschen einzustehen;
es mahnt, gegen die Gleichgültigkeit, gegen die Gefühlskälte,
gegen das Wegschauen und gegen den Egoismus anzukämpfen. Es
mahnt zur personalen Verantwortung gegenüber der Geschichte
und der Gegenwart, einer Gegenwart, in der neuerlich die Gefahr
besteht, daß für gesellschaftliche Mißstände
Sündenböcke gesucht und gefunden werden, daß mit
Unwissenheit gegenüber der Geschichte spekuliert wird und daß
aus Egoismus, Gleichgültigkeit und Fremdenfeindlichkeit politisches
Kapital geschlagen und gegen Minderheiten ausgespielt wird.
Von diesem Verlust an Geschichtsbewußtsein und an Mitmenschlichkeit
profitieren mehrere: Einmal diejenigen, die an der Aufrechterhaltung
des Vergessens interessiert sind, um in diesem dumpfen Klima des
Verschweigens historischer Tatsachen ihre verdrehte Geschichtsversion
verbreitern zu können und um unterschwellig das Instrument
des Rassismus zum Klingen zu bringen. Zum anderen setzen auch diejenigen
auf Zeit-Gewinn, die an ihre Verstrickung in das verbrecherische
NS-System, an ihre Mittäterschaft oder an ihr Mitläufertum
nicht mehr erinnert werden wollen; sie wollen sich damit nicht konfrontieren,
sie haben angeblich nichts aufzuarbeiten; sie wollen aber auch nicht,
daß die nachfolgenden Generationen bohrende, peinliche Gewissensfragen
stellen, wo waren damals unsere Väter und Großväter,
was haben sie getan und was haben sie unterlassen, als die Juden
aus Kärnten, die Sinti und Roma, die Zeugen Jehovas, die Geisteskranken
und Behinderten verschwanden, als die Deserteure und Widerstandskämpfer
denunziert und hingerichtet wurden, als die Kärntner Slowenen
ausgesiedelt und in Lager verbracht wurden?
Das 'Denkmal der Namen' personalisiert eine Geschichte, die vom
Guten wie vom Bösen im Menschen zeugt. Das personalisierte
Böse raubte dem Menschen Sprache und Namen; die Nazis entmenschlichten
ihrer Gegner in den Lagern dadurch, daß sie jene wie Tiere
hielten und behandelten, die bereits ihrer Namen beraubt waren.
Elie Wiesel, der Auschwitz und Buchenwald überlebte, erzählt
von den Auswirkungen dieser Reduktion auf eine bloße KZ-Nummer:
"Ich hatte sogar meinen eigenen Namen vergessen. In Auschwitz
gegen dem Ende zu, und vor allem im Zug. Ich hatte meine Nummer,
A7713. Das war alles. Ich war eine Nummer. Und von Zeit zu Zeit
kam jemand aus meiner Stadt zu mir, um mich an meinen Namen zu erinnern.
(...) Und das genügte mir, um glauben zu können, daß
der Mensch zum Guten fähig ist."
Das 'Denkmal der Namen' personalisiert eine Geschichte, die nie
mehr völlig mit Namen bedacht werden wird. Wir gedenken heute
auch derer, und wir betrauern auch die, deren Namen nicht mehr zu
rekonstruieren sind, weil sie in keinem Archiv der Welt aufscheinen
und weil keine diesbezügliche kriminalistische Nachforschung
fündig werden wird. Ihre Namen waren nie bekannt, sie wurden
ausgelöscht, bevor sie noch Nummern bekamen. Mehrere Generationen
ganzer Familienclans wurden von den Nazis ausradiert, darunter auch
geborene und ungeborene Kinder, die nie eine Chance hatten, Kindheit
zu erleben, vom Erwachsenendasein ganz zu schweigen. Der frühere
israelische Staatspräsident Ezer Weizmann sagte in seiner Rede
1996 vor dem Deutschen Bundestag in Bonn die erschütternden
Worte, nachdem er die Namen einiger großer Söhne des
Volkes Israels angeführt hatte: "Unter den Millionen Kindern
meines Volkes, die die Nazis in den Tod geführt haben, waren
weitere Namen, an die wir heute mit dem gleichen Maß an Ehrfurcht
und Hochachtung erinnern könnten. Doch wir kennen diese Namen
nicht. Wie viele Bücher, die niemals geschrieben wurden, sind
mit ihnen gestorben? Wie viele Symphonien, die niemals komponiert
wurden, sind in ihren Kehlen erstickt? Wie viele wissenschaftliche
Entdeckungen konnten nicht in ihren Köpfen heranreifen? Jeder
und jede einzelne ist hier zweimal getötet worden. Einmal als
Kind, das die Nazis in die Lager geschleppt haben, und einmal als
Erwachsener, der er oder sie nicht sein konnten. Der Nationalsozialismus
hat sie nicht nur ihren Familien und den Angehörigen ihres
Volkes entrissen, sondern der gesamten Menschheit." - Ein niemals
benennbarer Verlust, der von uns allen zu betrauern ist. Ein doppelter
Mord, zu dem noch ein dritter hinzu kommt: der Tod durch das Vergessen,
die endgültige Auslöschung, die im kulturellen Gedächtnis
nicht einmal mehr eine Lücke hinterläßt. Zumindest
gegen diesen dritten Tod, gegen die Auslöschung durch das Vergessen
und durch den anonymen Strom der Zeit, ist dieses 'Denkmal der Namen'
errichtet worden. Es steht für ein lange Zeit in Vergessenheit
geratenes Menschenrecht, für das Recht des Menschen auf einen
Namen. "Jeder Mensch hat einen Namen", so heißt
eine Erinnerungsaktion, die 1991 weltweit ausgerufen wurde. Es ist
eine Aktion, die die anonymen Opfer der Nazizeit ins kollektive
Gedächtnis zurückholen will.
Zwei Momente erscheinen mir wichtig an dieser Erinnerungsaktion:
Einmal, die Rekonstruktion des Namens, eventuell auch des Alters,
des Geburtsortes und des Todesortes. In einem Meer von ungezählten
und unfaßbaren Verbrechensopfern wird so das individuelle
Schicksal wieder greifbar; es wird uns näher gerückt,
es wird persönlicher und schafft so etwas wie eine Verbindung,
es stiftet eine Verpflichtung zwischen den Nachgeborenen und den
Untergegangenen und gewaltsam Ausgelöschten. Zum anderen, die
öffentliche Nennung von Namen der Personen, die von den Nazis
ermordet wurden. Dies hilft zu einem Geschichtsbewußtsein,
das nicht mehr mit Gleichgültigkeit und Unwissenheit über
diese Zeit des Schreckens hinweg geht. Damit steht dieses Denkmal
auch für den Willen zur Aufklärung, nicht für irgend
eine Schuldzuschreibung, sondern für das verantwortungs- und
geschichtsbewußte Weitertragen der Erinnerung. Dadurch wird
die Verantwortung für Mit-Menschlichkeit wieder hergestellt,
dadurch wird die "Vergessensschuld", die auch die Nachgeborenen
betreffen kann, abgetragen. Ein Denkmal, das die Namen der Opfer
dem Vergessen zu entreißen vermag, macht den Menschen in seinem
geschichtlichen Wesen wieder kenntlich, gibt ihm die Würde
zurück, die ihm die Nazis genommen haben, in dem sie ihren
Opfern wie Tieren Nummern in die Haut gebrannt haben.
Ein 'Denkmal der Namen' setzt den Menschen wieder in das Universum
der Bedeutungen ein, die für ihn im endlichen Raum von Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft so etwas wie eine Sinn-Klammer darstellen.
"Jeder Mensch hat einen Namen" heißt ein Gedicht
der israelischen Dichterin Selda, das zu einem wesentlichen Bestandteil
jeder Gedenkzeremonie geworden ist, bei der über die Namen
das individuelle Los der Vernichtung in Erinnerung gerufen wird.
Mit seinem Namen repräsentiert der Mensch viel mehr als nur
die Existenz als "Herr Meier" oder "Frau Müller";
mit seinem Namen ist der Mensch in seiner Welt lokalisierbar, verankert,
beheimatet. Deshalb abschließend das Gedicht von Selda.
Rede gehalten am 16.6.2000 in Villach, anläßlich
der Erweiterung des Denkmals der Namen.
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