ZEITDOKUMENTE
Aussagen von August und Margarethe Sommer
über die Deportation ihrer Ziehtocher Helene Weiss in das KZ-Lackenbach
Die Aussagen wurden am 23. Oktober 1947 von Josef
Nischelwitzer im Büro des KZ-Verbandes Klagenfurt protokolliert.
Das Protokoll wurde für die Anzeige gegen Kriminalinspektor
Karl Malle, der für die Deportation der Kärnter "Zigeuner"
verantwortlich war, verwendet.
Abschrift gemacht von Hans Haider / Original im
Besitz des KZ-Verbandes Klagenfurt/Kärnten.
Es erscheint der Angestellte der Bundeseisenbahn
August Sommer wohnhaft in Klagenfurt, Priesterhausgasse Nr.1 und
erklärt folgendes:
Glaublich im Jahre 1939 nahmen wir (meine Frau und
ich) ein Weisenkind zu uns. Dieses Kind, namens Helene Weiss übernahmen
wir vom Fürsorgeamt Klagenfurt. Vorher hatte dieses Kind ein
gewisser Herr Rath, wohnhaft in Klagenfurt/Schmelzhütte, als
Pflegekind auf Kost. Ich wollte dieses Kind dann über das Fürsorgeamt
als eigenes Kind annehmen und adoptieren lassen. Das Fürsorgeamt
hat jedoch meinen Wunsch abschlägig entschieden, da es den
Standpunkt vertrat, dass es bei einer "Halbzigeunerin",
wie es Helene Weiss ist, nicht möglich sei. Die Sachbearbeiterin
Frau Dr. Schmidt vom Fürsorgeamt in Klagenfurt gab mir deutlich
zu verstehen, dass Helene Weiss sowieso einmal vom Grenzgebiet wegkommen
wird.
Helene Weiss ist im Oktober 1928 geboren und war damals erst 11
Jahre alt. Sie besuchte in Klagenfurt die Volks- und später
die Hauptschule, und wurde ausschließlich von mir und meiner
Frau Margarethe Sommer erzogen. Im Oktober 1941, den genauen Tag
hiefür kann ich nicht mehr angeben, erschien in meiner damaligen
Wohnung, Sonnwendgasse 21, in den Abendstunden der Kriminalbeamte
Fitz von der Kriminalpolizei Klagenfurt und frug mich ob bei mir
eine gewisse Helene Weiss wohne. Auf mein Bejahen bemerkte Fitz,
dass meine Ziehtochter Helene am nächsten Morgen nicht die
Schule besuchen darf, sondern sich zu Hause bereit halten solle.
Meine Frau und ich wussten nicht was der Kriminalbeamte Fitz damit
bezweckte. Am nächsten Morgen um halb sechs Uhr früh erschien
wieder Fitz in unserer Wohnung und sagte folgendes: Machen Sie das
Kind sofort reisefertig, es geht mit mir, das heisst es wird ein
Auto vorfahren. Er bemerkte auch, dass wir dem Kind ein wenig Wäsche
und sonst nichts mitgeben könnten. Er verbot mir ausdrücklichst
dem Kinde Esswaren und ein Taschengeld zuzustecken. Auf meine Frage,
was er mit dem Kinde wolle und was mit demselben weiter geschehen
solle, gab er mir zur Antwort: das geht sie garnichts an, das Kind
kommt jetzt fort, sie werden nie mehr von dem Kinde etwas hören.
Ich fragte den Kriminalbeamten Fitz, ob ich auf das Kind überhaupt
kein Recht mehr habe, worauf er mir zur Antwort gab, sind Sie ruhig,
sonst kommen Sie auch mit. In der weiteren Folge liess mich Fitz
vor der eigenen Wohnungstüre warten. Ich konnte mit dem Kinde
überhaupt nicht mehr sprechen und musste zusehen, wie es in
das später kommende Auto geschafft und wegtransportiert wurde.
Die Abschiedszene brauche ich wohl nicht im besonderen darzulegen,
da sie erklärlicherweise herzzerreissend war. Fitz verhielt
sich während seiner ganzen Amtshandlung brutal und zeigte nicht
die geringste menschliche Rührung.
Um zirka 9 Uhr vormittag desselben Tages sprach ich bei dem Kriminalbeamten
Malle vor, da ich hörte, dass er die Verhaftung meiner Ziehtochter
wie vieler anderer Menschen, welche der Abstammung nach Zigeuner
waren, veranlasste. Malle erklärte mir bei meiner ersten Vorsprache,
er könne mir darüber keine Auskunft erteilen, da er nicht
wisse wohin mein Pflegekind gekommen sei. Als ich das dritte mal
bei Malle vorsprach, sagte er mir kühl ins Gesicht, dass mein
Pflegekind Helene Weiss bereits abtransportiert worden ist. Den
Ort des Zieles verschwieg er mir. Den dritten Tag darauf ging ich
mit der Familie Peter, welche der Abstammung nach Zigeuner sind,
und deren zwei Söhne, (ein Sohn mit Frau und Kinder) ebenfalls
verhaftet und abtransportiert wurden, abermals zum Kriminalbeamten
Malle. Herr und Frau Peter, welche wegen ihrer Angehörigen
zuerst vorsprachen, wurden von Malle auf das schärfste hinausgewiesen.
Mir gegenüber bemerkte Malle, dass ich doch sehen müsse
dass diese Leute Zigeuner seien und ich solle es nicht nochmals
versuchen vorzusprechen, ansonsten ich das nächste mal samt
diesen Leuten bei der Tür hinausfliege. Bezüglich meiner
Ziehtochter erklärte mir Malle ausdrücklichst, dass es
keinen Zweck zu intervenieren hätte, da das Kind nicht mehr
zurück käme. Malle bemerkte auch, dass alle Zigeuner im
Grenzland Kärnten zusammengefangen und wegkommen würden.
In der Folgezeit musste ich zur Wehrmacht einrücken und kam
erst im Oktober 1945 wieder nach Klagenfurt zurück. Am 12.
Oktober 45 ging ich zur Kriminalpolizei und wollte Malle über
den Verbleib meiner Ziehtochter befragen. Bemerken möchte ich,
dass ich empört war, als ich feststellte, dass so ein Faschist
und Nazi-Kriegsverbrecher wie Malle es ist, noch im Dienst und nicht
schon längst seiner Strafe zugeführt ist.
Malle war über mein Erscheinen erschrocken, und erinnerte sich
sofort an meinen Namen. Er begrüßte mich überhöflich
und fragte mich nach meinen Wünschen. Ich fragte ihn, ob er
mir jetzt Auskunft über den Verbleib meiner Ziehtochter Helene
Weiss geben könnte. Malle erklärte mir, dass das Kind
nach Lackenbach an der burgenländisch-ungarischen Grenze in
ein Lager gekommen sei. Er erklärte mir, dass er nicht selbst
daran schuld sei, sondern ein gewisser Herr Bamberg in Berlin. Malle
konnte mir im besonderen nicht die geringste Auskunft geben. Malle
erzählte mir, dass er auch schon in der Nazizeit immer einen
Kärntner Anzug getragen habe und nie etwas mit derartigen Sachen
zu tun gehabt habe, sondern vielmehr dieser Bamberg aus Berlin an
allem Schuld sei.
Ich bitte um Nachforschungen bezüglich meiner Ziehtochter Helene
Weiss, und beantrage über die Landesleitung der KPÖ den
Strafantrag gegen Karl Malle und über den Kriminalbeamten Oswald
Fitz. Ich bitte den Strafantrag der Staatsanwaltschaft in Klagenfurt
zu übermitteln.
Ich hoffe auch, dass Malle und Fitz der gerechten Strafe zugeführt
werden. Besonders Malle hat das Schicksal hunderter Antifaschisten
in die menschenunwürdigsten Verhältnisse und durch sein
brutales verbrecherisches Verhaltenin den Tod getrieben. Bemerken
möchte ich noch, dass den Transport, bei welchen meine Ziehtochter
dabei war, ein Kriminalbeamter namens Wimmer nach Lackenbach geleitet
haben soll. Ich hoffe auch rascheste Erledigung und Benachrichtigung
über den Verbleib meiner Ziehtochter. Meine gemachten Angaben
kann ich jederzeit vor Gericht wiederholen und beeidigen.
Unterschrift: Sommer August
Es erscheint die Hausfrau Margarethe Sommer
wohnhaft in Klagenfurt, Priesterhausgasse 1/1.Stock, und gibt folgendes
an:
Das Protokoll meines Mannes vom 23. Oktober1947
habe ich durchgelesen, dieses ist richtig und ich möchte im
besonderen noch etwas hinzufügen:
Im Herbst 1941, die genaue Zeit kann ich nicht mehr angeben, erschien
in den Morgenstunden um zirka halb sechs Uhr der Krimrnalbeamte
Fitz, und fragte nach unserer Ziehtochter Helene Weiss, welche damals
zirka 13 Jahre alt war. Ich bemerke, dass ich am Vortage nicht zu
Hause war und mir mein Mann vom Erscheinen des Kriminalbeamten Fitz
Mitteilung machte. Wir hatten bis dahin noch keine Ahnung was Fitz
mit seiner Avisierung bezweckte. Fitz fragte mich an diesem Morgen
nach den Dokumenten der Helene Weiss. Nach meiner Frage was er damit
wolle, bemerkte Fitz, dass ich ihn nicht so finster anschauen solle,
und dass ihn seine Frau öfters so ansehe, wobei er sich doch
nicht erweichen lasse. Ich händigte dem Fitz die Dokumente
aus. Fitz erklärte mir mit einer Herzlosigkeit, dass ich von
dem Kinde nie etwas mehr hören werde. Er bemerkte auch, dass
diese Menschen alle zusammen, samt den Russen, in eine Kanone oder
Pulverfass gesteckt und in die Luft gesprengt gehören. Ich
habe damals erklärlicherweise, wie auch meine Ziehtochter,
auf das fürchterlichste geweint. Fitz stellte sich zu allem
derart kühl, und scheute sich nicht uns das menschenunwürdigste
in das Gesicht zu sagen, wodurch wir noch mehr seelisch zu leiden
hatten. Ich durfte dem Kind nur eine Aktentasche mit etwas Wäsche
mitgeben. Esswaren oder ein Taschengeld durften wir unserer Pflegetochter
auf ausdrücklichste Weisung des Fitz nicht mitgeben. Meine
Pflegetochter wurde anschließend mit einem offenen Lastauto
abtransportiert. Wie ich später erfahren habe, kam meine Pflegetochter
vorerst in das Polizeigefängnis. Wie mir mein Mann erzählte,
wurde dann meine Pflegetochter mit vielen anderen Unglücklichen
per Bahn abtransportiert. Der Ort des Reiseziels wurde uns nicht
bekannt gegeben. Wir hörten in der Folgezeit überhaupt
nichts mehr von unserer Pflegetochter und mein Mann wurde bei sämtlichen
diesbezüglich Vorsprachen von den massgeblichen Kriminalbeamten
abgewiesen. Ich selbst war nie bei Malle, da ich mich zu sehr aufgeregt
hätte und dies ohnedies mein Mann erledigte.
Im Jänner 1944, zwei Tage nach dem ersten Bombenangriff auf
Klagenfurt, begegnete ich dem "Fitz". Ich sprach mit einem
bekannten Herrn, welcher bemerkte, wir danken unserem Führer
für diesen Bombenhagel und die Schäden. Da ich den Fitz
kommen sah, gebot ich meinem Bekannten still zu sein. Fitz dürfte
sich vermutlich eingebildet haben, dass wir über ihn etwas
gesprochen haben. Jedenfalls hatte er ein schlechtes Gewissen, denn
er kam auf mich zu und sagte: "Frau Sommer sie kommen ja auch
noch dran". Ich nahm natürlich an, dass ich gleich meiner
Pflegetochter für immer verschwinden könnte. Ich legte
die Drohung des Fitz jedenfalls so aus.
Ich stelle gegen den Kriminalbeamten Fitz und Malle über die
Landesleitung der KPÖ den Strafantrag. Ich bitte diesen der
Staatsanwaltschaft in Klagenfurt zu übermitteln. Ferner ersuche
ich um die strengste Bestrafung der Genannten und um Nachforschungen
über den Verbleib meiner Pflegetochter. Weiteres kann ich nicht
angeben. Meine gemachten Angaben kann ich jederzeit vor Gericht
wiederholen und beeiden.
Unterschrift: Margarethe Sommer
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